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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns
Autoren: Polina Daschkowa
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Kopf gestreichelt. Sie wollte, daß ihr Sohn, der Enkel des legendären roten Kommandeurs, ohne Sentimentalitäten und täppische
     Zärtlichkeiten aufwuchs. Aber jetzt begriff Wenja – in Wirklichkeit liebte sie ihn einfach nicht. Die Mutter gab ihm nur deshalb
     Ohrfeigen und ignorierte ihn wochenlang, sprach mit ihrer ruhigen, eiskalten Stimme unerträgliche Worte, weil es ihr gefiel,
     zu herrschen und die Schwachen und Schutzlosen zu erniedrigen und zu quälen.
    Aber nun kannte er ein wichtiges Erwachsenengeheimnis, das seine Mutter betraf, und zwar nicht als Parteifunktionärin, nicht
     als kristallene Kommunistin, sondern als gewöhnliche, nicht besonders junge und nicht besonders attraktive Frau. Hier war
     sie schutzlos. Jetzt konnte er ihr jeden Augenblick weh tun. Aber er schwieg. Er bewahrte dieses schmachvolle Erwachsenengeheimnis
     sorgsam undängstlich für sich. Mit einem besonderen, rachsüchtigen Vergnügen beobachtete er, wie die junge Nachbarin seine geschätzte
     Mutter respektvoll grüßte, wie diese parteigemäß der molligen Rivalin die kleine weiche Hand drückte, ohne zu ahnen, daß es
     sich um ihre Rivalin handelte, noch dazu um die glücklichere.
    Das Geheimnis zerriß ihn fast, aber er wußte genau – das war eine Waffe, die man nur einmal verwenden konnte. Zu gern hätte
     er darüber gesprochen – wenn schon nicht zur Mutter, so doch wenigstens mit einem von den dreien, die durch dieses Geheimnis
     fest miteinander verbunden waren. Zu gern hätte er sich am Erschrecken der Erwachsenen geweidet.
    Eines Tages hielt er es nicht mehr aus. Als er die Nachbarin auf der Treppe traf, sagte er ihr leise und deutlich ins Gesicht:
    »Ich weiß alles. Ich habe meinen Vater und dich gesehen.«
    »Was weißt du, Wenja?« Die Nachbarin hob ihre feinen Brauen.
    »Ich habe euch im Bett gesehen, wie ihr …«
    Das zarte Gesichtchen verzerrte sich etwas. Aber die Wirkung, die Wenja erwartet hatte, blieb aus.
    »Ich sage alles der Mutter«, fügte er hinzu.
    »Nicht doch, Wenja«, bat das Mädchen leise, »davon wird niemandem leichter.«
    In ihren runden braunen Augen entdeckte er zu seinem Erstaunen Mitleid. Das war so unerwartet, daß Wenja außer Fassung geriet.
     Sie hatte keine Angst vor ihm – er tat ihr leid.
    »Weißt du was«, schlug das Mädchen vor, »laß uns in aller Ruhe darüber reden. Ich will versuchen, dir alles zu erklären. Das
     ist nicht leicht, aber ich will es versuchen.«
    »Gut«, sagte er, »tu das.«
    »Aber nicht hier, auf der Treppe«, besann sie sich. »Wenn du willst, gehen wir ein bißchen spazieren, bis zum Park. Das Wetter
     ist so schön.«
    Das Wetter war wirklich prächtig – ein lauer Maiabend.
    »Verstehst du, Wenja«, sagte sie, während sie auf den Park zugingen, »dein Vater ist ein sehr guter Mensch. Auch deine Mutter
     ist gut. Aber sie ist für ihn zu stark, zu streng. Männer wollen selber stark sein, deshalb verurteile deinen Vater nicht.
     Im Leben kommt so vieles vor. Wenn du Angst hast, ich würde eure Familie zerstören – das ist nicht meine Absicht. Ich habe
     deinen Vater einfach sehr lieb.«
    Wenja hörte ihr schweigend zu. Er war sich noch nicht ganz im klaren, was in seinem Inneren vor sich ging. Vom süßen Duft
     des Parfums wurde ihm schwindlig. Auf Laras milchweißem Hals pulsierte eine bläuliche Ader.
    »Wenn du es der Mutter erzählst, wird sie es nicht verzeihen. Weder ihm noch mir. Sie ist einfach nicht fähig zu verzeihen,
     deshalb habt ihr beide es auch so schwer mit ihr. Aber du, Wenja, du mußt lernen zu verzeihen. Anders kann man nicht leben.«
    Keine Menschenseele war in der Nähe. Lara redete so hitzig und begeistert, daß sie nicht aufpaßte, wohin sie trat. Sie stolperte
     über eine dicke Baumwurzel und fiel der Länge nach ins Gras. Ihr karierter Wollrock schob sich nach oben, entblößte die Ränder
     der Perlonstrümpfe, die rosa Gummibänder des Strumpfgürtels und die zarte milchweiße Haut.
    Ohne ihr Zeit zum Aufstehen zu lassen, stürzte Wenja sich mit der ganzen Kraft seines gierigen fünfzehnjährigen Fleisches
     auf sie. Er tat mit ihr, wovon die Klassenkameraden so derb und in allen Einzelheiten erzählten und was er selber zu Hause
     gesehen hatte, im Bett der Eltern.
    Lara wollte schreien, aber er hielt ihr mit der flachen Hand Mund und Nase zu. Sie trat um sich, wand sich unter ihm, aber
     er schaffte es, sie auf den Rücken zu drehen und ihr mit dem Knie die Oberschenkel, die sie krampfhaft zusammengepreßt
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