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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns
Autoren: Polina Daschkowa
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eine Märchenfee. Sergejs Gehalt – er war Oberst im Innenministerium und stellvertretender
     Leiter der Kriminalabteilung im Sicherheitsdienst – reichte kaum. Noch wichtiger aber war, daß Lena ohne Arbeit einfach nicht
     leben konnte. Außerdem wußte sie, daß sie nur ein wenig nachzulassen brauchte, und schon wäre ihre Stelle besetzt.
    So war jede Minute ihrer Zeit verplant, sie schufteteunablässig und schlief nicht mehr als fünf Stunden pro Nacht. Von den kostbaren zwei Stunden, die Lisa tagsüber schlief, war
     jetzt noch eine Stunde geblieben. Aber nach Olgas Anruf konnte Lena nur noch an Mitja denken. Was mochte ihm zugestoßen sein?
     Ein Unfall? Hatte ein Auto ihn überfahren?
    Lena war gerade dabei, Kaffee zu kochen, als es klingelte.
    Olga stand in einem schwarzen Kopftuch, offenbar von ihrer Großmutter, vor der Tür. Man sah auf den ersten Blick, daß sie
     sich weder gekämmt noch gewaschen hatte und schnell das erste, was ihr in die Hände gekommen war, übergeworfen hatte.
    »Er hat sich erhängt«, sagte Olga mit dumpfer Stimme, während sie ihren Mantel auszog. »Er hat sich heute nacht erhängt, in
     seiner Wohnung. Hat seinen Ledergürtel am Gasrohr über der Küchentür befestigt.«
    »Und wo war seine Frau um diese Zeit?«
    »Sie hat geschlafen. Sie hat ruhig im Nebenzimmer geschlafen und nichts gehört.«
    »Wer hat denn als erster …?« Lena wollte sagen »die Leiche gefunden«, aber sie stockte – dieses Wort wollte ihr im Zusammenhang
     mit Mitja nicht über die Lippen. Mitja, der sie noch vor kurzem besucht hatte, der hier bei ihr auf dem Küchensofa gesessen
     und vor Energie, Gesundheit und optimistischen Zukunftsplänen nur so gesprüht hatte.
    »Seine Frau hat ihn gefunden. Sie ist aufgewacht, in die Küche gegangen und hat ihn gesehen.«
    Lena fiel auf, daß Olga in der letzten Zeit die Frau ihres Bruders nicht mehr mit Namen nannte. Früher hatte sie ständig von
     Katja, Katjuscha, Katjenka geschwärmt.
    »Und was war weiter?«
    »Wie es passiert ist, hat niemand gesehen.« Olga zuckte nervös die Schultern und zündete sich eine Zigarette an. »Wir wissen
     das alles nur von ihr, und sie erinnert sich an nichts mehr. Sie selbst hat Mitja aus der Schlinge gezogen.Ich weiß ja, es passiert alles mögliche, aber einfach so, aus heiterem Himmel, nicht einmal ein Brief. Und vor allem – Mitja
     hat immer gesagt, Selbstmord sei eine schwere Sünde, davon war er überzeugt. Für die Polizei ist das natürlich kein Argument,
     aber Mitja ist getauft, und er war gläubig, ging zur Beichte und zur Kommunion. Zwar selten, aber immerhin. Und jetzt kann
     ich ihn nicht einmal kirchlich beerdigen lassen, Selbstmörder bekommen kein kirchliches Begräbnis. Jede andere Sünde wird
     vergeben – nur diese nicht.«
    Olga hatte dunkle Ringe unter den Augen, ihre Hand mit der erloschenen Zigarette zitterte leicht.
    »Er war noch vor etwa einem Monat bei mir«, sagte Lena leise. »Er hatte so viele Pläne, erzählte, er hätte fünf neue Lieder
     geschrieben, hätte die Bekanntschaft eines berühmten Produzenten gemacht und würde jetzt bestimmt einen Videoclip nach dem
     anderen herausbringen. Ich erinnere mich nicht mehr an alles, worüber wir gesprochen haben, aber mir schien, daß er eine richtige
     Glückssträhne hatte. Er war ein bißchen erregt, aber freudig erregt. Vielleicht haben sich irgendwelche Hoffnungen, die mit
     diesem Produzenten verbunden waren, zerschlagen?«
    »Solche Hoffnungen hatte er jeden Monat ein Dutzend Mal, und genausooft haben sie sich wieder zerschlagen.« Olga lächelte
     traurig. »Daran war er gewöhnt und nahm das ganz gelassen. Nein, wenn ihm etwas wirklich naheging, dann seine eigene Arbeit,
     wobei es ihm nicht auf Popularität oder Geld ankam. Ihm war wichtig, ob er schreiben konnte oder nicht. Im letzten Monat konnte
     er schreiben wie nie zuvor, und das war für ihn die Hauptsache.«
    »Das heißt, du hältst es für möglich, daß Mitja nicht selber …?« fragte Lena vorsichtig.
    »Die Polizei versichert, daß er es selbst getan hat.« Olga steckte sich noch eine Zigarette an.
    »Hast du heute eigentlich schon etwas gegessen? Soll ich dir einen Kaffee kochen?«
    »Von mir aus.« Olga nickte gleichgültig. »Und wenn es geht, würde ich gern bei dir duschen. Ich habe mich heute nicht einmal
     gewaschen. Entschuldige, daß ich mit dieser schrecklichen Geschichte zu dir komme, aber zu Hause halte ich es nicht aus, und
     ich muß ein bißchen zur
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