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Die Lanze Gottes (German Edition)

Die Lanze Gottes (German Edition)

Titel: Die Lanze Gottes (German Edition)
Autoren: Dieter Beckmann
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in ihm zog sich zusammen und er fühlte sich wie ein Kaninchen vor der Schlange, das nicht in der Lage ist, über sein Schicksal zu bestimmen. Es war, als sei er gar nicht da, sondern nur Zuschauer eines Bühnenstücks.
    Dann erwachte er aus seinem Dämmerzustand und spähte hinab in den Klostergarten. Es gab kein Entrinnen. Mönche bekreuzigten sich, versuchten zu entkommen. Ihre verzweifelten Rufe nach Gnade wurden von dem Gebrüll der Männer übertönt. Die Fremden riefen immer das gleiche Wort, während sie mordeten: »Thor!« War das ihr heidnischer Gott?
    Jared bekreuzigte sich und beschloss in das Skriptorium zu flüchten. Er umging den Kreuzgang und den Garten des Klosters und rannte in das Haus, in dem die Mönche ihre Schriften und Reliquien aufbewahrten. Jared griff nach dem Kodex von Lindisfarne und presste ihn vor seine Brust, als die Tür plötzlich aufgestoßen wurde und drei Männer mit gezogenen Schwertern hereinstürmten. Einer von ihnen war jener Anführer, der wenige Augenblicke zuvor Prior Edmund enthauptet hatte.
    Das ist mein Ende, dachte Jared, bekreuzigte sich abermals, packte den Kodex fest mit beiden Händen und kniete nieder. Dann sprach er ein Gebet.
    Die Männer traten näher. Einer der Fremden hielt eine Fackel in der Hand und schickte sich an, das Skriptorium in Brand zu stecken. Als Jared das sah, sprang er auf. Mit dem Mut der Verzweiflung und dem Kodex von Lindisfarne unter dem Arm lief er auf den Mann zu. »Haltet ein! Nein! Im Namen des Herrn, nicht die Schriften!«
    Sein Gegenüber schaute ihn höhnisch an und stieß ihn weg. Ein anderer hob sein Schwert zum Schlag. Jared schloss die Augen und wartete auf den Tod.
    Plötzlich ertönte die Stimme des Anführers.
    Jared blinzelte und sah, wie sein Angreifer wortlos die Waffe senkte. Der Anführer kam auf ihn zu, schob den Schwertschwinger zur Seite und gab einen Befehl. Trotz des seltsam klingenden Akzentes, konnte Jared seine Worte einigermaßen begreifen, da sie der angelsächsischen Sprache ähnelten. Die beiden Männer zerrten ihn nach draußen.
    Dort bot sich ihm ein Bild des Grauens.
    War das die Hölle? Hatte der Teufel sie heimgesucht? Im ganzen Klostergarten verstreut lagen die Leichen seiner Mitbrüder. Die Furcht vor seinem eigenen Schicksal schien für einen Moment verflogen, als ihn beim Anblick der geschundenen und getöteten Mönche unendliche Trauer überkam. Tränen schossen in seine Augen. Er schloss sie, in dem verzweifelten Versuch dem Grauen zu entgehen, doch die Bilder hatten sich schon den Weg in sein Gedächtnis gesucht. Er konnte ihnen nicht entfliehen.
    Derweil begannen die Fremden, alles aus dem Kloster heraus zu zerren, was ihnen wertvoll erschien: Reliquien, Kelche, Becher aus Gold und Kreuze - sie nahmen mit, was sie tragen konnten. Hilflos musste Jared mit ansehen, wie der östliche Flügel des Klosters in Flammen und Rauch aufging.
    Den ganzen Tag über dauerte die Plünderei.
    Jared wurde geschlagen, getreten und anschließend im Klostergarten gefesselt. Nach einer Weile spürte er die Prügel nicht mehr und gab sich ganz seiner Verzweiflung hin. Angetrocknetes Blut verklebte sein Gesicht, sodass er kaum aus den Augen schauen konnte.
    Als es Abend wurde, feierten die Männer ein Fest. Es schien sie nicht zu stören, dass unweit ihres Gelages die Leichen der verstümmelten und gemarterten Mönche lagen. Im Schein des Feuers erkannte Jared, wie sich ihm eine große Gestalt näherte, der Anführer der Fremden. Der Mann blieb vor ihm stehen und musterte ihn neugierig. Dann hielt er ihm einen hölzernen Becher hin. Jared blinzelte und versuchte, den Kopf zu heben. Als das nicht gelang, kniete sich der Fremde neben ihn und gab ihm zu trinken.
    »Schau sie dir an, Priester!« Mit einer Handbewegung wies er zu den anderen. »Sie feiern ihren Sieg. Im Morgengrauen werden wir dich zum Dank den Göttern opfern!«
    »Ihr habt mich am Leben gelassen, um mich eurem heidnischen Götzen darzubringen?« Das Sprechen fiel Jared schwer.
    Der Nordmann musterte ihn. »Wir werden sehen, Priester. Eigentlich wollte ich euren Anführer verschonen, doch er zeigte keine Einsicht. Ich musste ihm den Kopf abschlagen, sonst hätte ich vor meinen Männern das Gesicht verloren. Du hast es gesehen, wenn sie einmal am Morden und Plündern sind, gibt es kein Halten mehr. Nur durch Stärke kann man sie zügeln.«
    »Wer seid Ihr?«
    »Man nennt mich Olaf Ragnarson und das Volk, dem ich angehöre, lebt in den Fjorden der Nordmeere.
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