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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels
Autoren: Félix J. Palma
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das eine das andere beeinflusste, denn mehr als einmal hatte er wie ein stocksteifer Gimpel an einer Straßenecke gestanden oder als einsamer Tischgast in einem gutgefüllten Restaurant gewartet. Also überquerte Wells nun die lärmende Strand Avenue, auf der sich das Gewimmel des Universums zusammenzuballen schien, legte an Tempo zu und fiel in dem Sträßchen, in dem die Taverne lag, in einen anmutigen Trab. Auf diese Weise erreichte er den Ort seiner Verabredung mit beispielhafter Pünktlichkeit, wenngleich ein wenig atemlos.
    Da er nicht wusste, wie Serviss aussah, verlor Wells keine Zeit damit, durch die Fenster ins Innere zu spähen, wie das sonst seine Gewohnheit war: So pflegte er sich zu vergewissern, ob seine Verabredung schon eingetroffen war, und falls nicht, verdrückte er sich in die nächste Gasse, kam ein paar Minuten später in aller Ruhe zurück und vermied es auf diese Weise, im Lokal warten zu müssen und sich den mitleidigen Blicken der Gäste auszusetzen. Da ein solches Vorgehen heute keinen Sinn ergab, betrat Wells entschlossen das Restaurant und blieb mitten im Lokal stehen, damit dieser Serviss ihn sehen konnte, ließ seinen Blick über die Tische schweifen und hoffte, dass der Amerikaner schon da war und ihn davon erlöste, von den Anwesenden begafft zu werden. Zum Glück hob fast im selben Moment ein hagerer kleiner Mann von etwa fünfzig Jahren, den das Leben hart mitgenommen zu haben schien, grüßend den rechten Arm und ließ unter seinem buschigen Schnauzbart ein blasses Lächeln erkennen. Als Wells klarwurde, dass dies Serviss sein musste, glättete sich seine verdrießliche Miene. Er hätte sich einen bedrohlichen und großspurigen Widersacher gewünscht, um keine Gewissensbisse haben zu müssen; stattdessen sah der Mann aus wie ein magerer, halbverhungerter Geier. Er musste sich in Erinnerung rufen, was dieser Kümmerling getan hatte, um das Mitleid zu verscheuchen, das dessen Äußeres in ihm weckte, während er auf die Nische zuging, in der dieser ihn erwartete. Serviss erhob sich und breitete die Arme aus, und seine Gesichtszüge entgleisten schier, als er ihm entgegenlächelte wie ein Waisenkind, das darauf hofft, adoptiert zu werden.
    «Welch eine Ehre, welch ein Vergnügen, Mr. Wells!», rief er unter allen möglichen Demutsgesten, unter denen nur noch der Bückling fehlte. «Sie ahnen nicht, wie ich mich freue, Sie kennenzulernen. Bitte nehmen Sie Platz, haben Sie die Güte! Ein Pint? Kellner, bitte noch eine Runde, dieses Gespräch unter Großschriftstellern muss entsprechend begossen werden. Die Welt würde es sich nie verzeihen, wenn unsere hochfliegenden Reflexionen wegen ausgetrockneter Kehlen versiegten.» Nach dieser überstürzten Rede, die zur Folge hatte, dass der Kellner, der sich in den gegenständlichen und handgreiflichen Dingen des Lebens gewiss gut auskannte, ihnen beiden einen verächtlich herablassenden Blick zuwarf, wie er ihn für Leute aufsparte, die sich mit etwas so Luftigem wie Kunst befassten, heftete Serviss seine Äuglein auf Wells. «Sagen Sie, George; ich darf Sie doch George nennen? Wie fühlen Sie sich, wenn jeder Ihrer Romane ein gesellschaftliches Beben hervorruft? Was ist Ihr Geheimnis? Schreiben Sie mit einem außerirdischen Füllfederhalter? Ha, ha, ha …»
    Wells ersparte es sich, über den Witz zu lachen. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und wartete, bis seinem schwachbrüstigen Gegenüber die Luft ausging. Seine traurige Miene hätte eher zu einem Beerdigungsgehilfen gepasst als zu einem, der sich auf ein gutes Mittagessen freute.
    «Schon gut, schon gut, George, ich will Sie nicht langweilen», fuhr der andere fort, als sei ihm seine Einfalt peinlich. «Aber ich muss meiner Bewunderung für Sie irgendwie Ausdruck verleihen.»
    «Ihr Lob können Sie sich meinetwegen sparen», sagte Wells, entschlossen, so schnell wie möglich die Zügel des Gesprächs in die Hand zu nehmen. «Die Tatsache, dass Sie eine Fortsetzung meines letzten Romans geschrieben haben, spricht ja schon für sich, Mr. Ser…»
    «Garrett, bitte, George.»
    «Also gut, Garrett», willigte Wells ein. Die Vertraulichkeit, zu der Serviss ihn zwang, behagte ihm so wenig wie die Feststimmung, die er ihrem Treffen gab, da beides es ihm nicht gerade leichtmachte, den beabsichtigten Rüffel anzubringen. «Ich wollte sagen …»
    «Aber loben kann man nie genug, meinen Sie nicht, George?», unterbrach ihn der Amerikaner aufs Neue. «Vor allem, wenn es verdientes Lob
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