Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels
Autoren: Félix J. Palma
Vom Netzwerk:
Greek Street gelenkt hatten, was völlig unnötig war, und er nun vor dem alten, mittlerweile geschlossenen Theater mit der Hausnummer zwölf stand. Lassen Sie sich jedoch nicht von seiner erstaunten Miene täuschen, denn nichts war hier zufällig, da alles im Leben dieses Schriftstellers einem Vorsatz gehorchte, nichts aufs Geratewohl geschah oder einer spontanen Eingebung folgte. Wells war ganz bewusst hier vorbeigekommen; auch wenn er jetzt versuchte, seinen armen Füßen die Schuld zu geben, hatte er es genau auf dieses Theater abgesehen gehabt, dessen Front er mit einem Ausdruck betrachtete, den man nur als heiligen Zorn bezeichnen konnte. Und da ich, im Gegensatz zu Ihnen, die Gründe kenne, die ihn veranlasst haben, hier stehen zu bleiben, sowie auch die Gedanken, die ihn jetzt bestürmen, kann ich ziemlich genau abschätzen, dass er mindestens zehn Minuten in seinen Betrachtungen verharren wird; Zeit genug, um Sie in dieser Geschichte willkommen zu heißen. Gute Erziehung ist neben dem Lachen und dem Ehebruch eines der wenigen Dinge, die uns von den Tieren unterscheiden, und ich erlaube mir den Gedanken, in meiner Eigenschaft, wenngleich sie eine besondere ist, nicht mit Tieren in Verbindung gebracht werden zu können. Betrachten Sie sich also als herzlich willkommen geheißen, und machen Sie sich bereit für eine Geschichte voll der überschwänglichsten Gefühle, in denen sowohl romantisch veranlagte Damen für die ebenso anbetungswürdige wie gottlose Miss Harlow schwelgen können, die Ihnen vorzustellen ich später das Vergnügen haben werde, als auch beherzte und kühne Männer, die sich von den unglaublich aufregenden Abenteuern mitreißen lassen, welche unsere Helden erleben, allen voran der kleine Mann mit dem Vogelgesicht, der jetzt mit ernster Miene vor dem Theater in der Greek Street steht. Schauen Sie sich ihn genau an. Sie sehen seine auffallend schlanke Figur, sein blondes Oberlippenbärtchen, das seinem kindlichen Gesicht eine männliche Note verleihen soll, den zarten Schwung seiner Lippen und die hellen, lebhaften Augen, in denen man das Aufblitzen einer ebenso scharfen wie wenig praktischen Intelligenz unmöglich übersehen kann. Doch trotz seines gewöhnlichen und wenig heldenhaften Äußeren wird Wells derjenige sein, der die Hauptrolle in dieser Geschichte spielt, deren tatsächlicher Beginn schwer auszumachen ist, die jedoch für ihn – und natürlich für Sie alle – an diesem beschaulichen Morgen des Jahres 1898 beginnt; einem ungewöhnlich strahlenden Morgen, der, wie Sie sehen werden, den Schriftsteller nicht ahnen lässt, dass er in wenigen Stunden eine unglaubliche und wundersame Entdeckung macht, die sein bisheriges Weltbild vollkommen auf den Kopf stellen wird.
    Aber ich will nicht lange drum herumreden und Ihnen endlich verraten, was Sie sich bestimmt schon seit einigen Minuten fragen: Warum ist Wells vor diesem alten Theater stehen geblieben? Voller Bedauern vielleicht, dass ein Musentempel geschlossen war, in dem er die besten Theaterstücke seiner Zeit gesehen hatte? Nichts dergleichen. Wie Sie feststellen werden, war Wells nicht anfällig für sentimentale Regungen. Er war vielmehr stehen geblieben, weil in diesem alten Theater ein paar Jahre zuvor ein ganz spezielles Unternehmen namens ZEITREISEN MURRAY untergebracht gewesen war. Bedeutet dieses feine Lächeln bei einigen von Ihnen, dass Ihnen diese Firma bekannt vorkommt? Ich muss Ihnen mit leichtem Erröten gestehen, das macht mich ausgesprochen glücklich; aber ich muss auch auf meine übrigen Leser Rücksicht nehmen, und da ich neben verschmitztem Lächeln auch eine ganze Reihe hochgezogener Augenbrauen sehe, hervorgerufen zweifellos von dem seltsamen Namen dieses Unternehmens, möchte ich den neu Hinzugekommenen erklären, dass hier vor zwei Jahren ein sonderbares Etablissement seine Tore geöffnet hatte, um den wahrscheinlich hochfliegendsten Traum des Menschen Wirklichkeit werden zu lassen: die Zeitreise. Einen Traum, den Wells mit seinem ersten Roman
Die Zeitmaschine
unter seinen Zeitgenossen wachgerufen hatte. Das Eröffnungsangebot dieses bemerkenswerten Unternehmens bestand aus einer Reise in die Zukunft, genauer gesagt zum 20 . Mai des Jahres 2000 ; dem Tag, an dem die entscheidende Schlacht um das Schicksal der Menschheit stattfand, so wie sie auf einem immer noch an der Wand des Theaters klebenden Plakat zu sehen war, welches den tapferen Hauptmann Shackleton zeigte, der das Schwert gegen seinen Erzfeind
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher