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Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein

Titel: Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
Autoren: Richard David Precht
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Menschen höchstes Ziel. Ein ziemlich merkwürdiges Ansinnen allerdings. Welcher Mensch hat dazu schon Lust und vor allem Zeit? Würde ein jeder Platons Rat befolgen, so würde vermutlich das Wirtschaftssystem dabei zusammenbrechen. Und machen wir uns nichts vor: Die Idee, dass alle Männer Philosophen werden sollen, konnte nur in einer Zeit entstehen, in der Frauen und Sklaven die meiste Arbeit erledigten.
    Man mag auch daran denken, dass jede Suche nach Wahrheit immer etwas langweilig ist, wenn es einen - nämlich Platon -
gibt, der diese Wahrheit schon kennt und alles besser weiß. Es ist die immer gleiche Crux mit den Erleuchteten, von Platon und Buddha bis zu Bhagwan oder dem Dalai Lama. Aber ganz offensichtlich scheint es viele Wahrheitssucher bis in die heutige Zeit nicht zu stören, dass jemand auf dem heiligen Weg mit ihnen das Spiel von Hase und Igel spielt und auf wundersame Weise immer schon vorher angekommen ist.
    Von dieser Warte betrachtet hat Platons Philosophie von vornherein einen etwas »esoterischen« Einschlag. Und dieser Eindruck verstärkt sich noch dadurch, dass Sokrates’ Schüler von seinen Anhängern und Lesern tatsächlich eine klare Entscheidung verlangt: Sie sollen sich dazu verpflichten, gut zu sein, und allen anderen Verlockungen abschwören. Ein radikaler Lebensweg steht ihnen bevor, trainiert durch den eisernen Zuchtmeister Platon.
    Wie aber sieht dieser Weg aus? Die alte, im Griechentum weit verbreitete Streitfrage lautet: Wie halte ich es im Leben mit den sinnlichen Genüssen? Machen sie das Leben gut? Oder stören sie das gute Leben? Auch für Platon ist diese Frage eine Kernfrage: Vernunft oder Lust - was macht auf lange Sicht glücklicher? Die Antwort darauf ist ziemlich eindeutig: Federleicht wiegen die flüchtigen Annehmlichkeiten der Lust gegen die dauerhafte Zufriedenheit durch ein gutes und rechtschaffenes Leben. Geht es nach Platon, so hält uns der Leib mit seinen starken Trieben und Bedürfnissen bei der Glückssuche eigentlich nur auf. Immer wieder führt er uns in Versuchungen und auf Irrwege. Und nur wer sich davon frei macht, ist tatsächlich frei. Ein wahrhaft glückliches Leben - Platons Wort dafür ist eudaimonia - befreit davon, das Leben auf billige Weise stets nach Lust und Unlust zu beurteilen. Denn wer das tut, der bleibt in Bezug auf seine geistige Reife ein Leben lang in der Pubertät. Der wahre Philosoph aber steht über seinen sinnlichen Bedürfnissen.
    Da alle Sinnengenüsse zeitlich begrenzt sind und da jedes sinnliche Glück schnell in sein Gegenteil umschlagen kann, wählt
Platon eine Lebensform mit eingebauter Risikoversicherung: Leidvermeidung statt Lustgewinnung. Die enormen Folgen für die europäische Kulturgeschichte können gar nicht hoch genug bewertet werden. Als Platons Philosophie im Mittelalter wieder belebt wird, inspiriert sein asketisches und leibfeindliches Ideal auf verheerende Weise das Christentum und wandert von hier aus schließlich auch wieder in die Philosophie. Selbst die bewusst antireligiöse Aufklärung wird sich an diesem alkoholfreien Bier betrinken: dass das Ziel des Lebens darin liegt, die primitive Sinnlichkeit so weit wie möglich zu überwinden.
    Der Fairness halber muss man sagen, dass Platon an einigen Stellen seiner Dialoge ganz offensichtlich stark mit sich selbst ringt, ob er bei dieser radikalen Aussage wirklich bleiben soll. 3 Doch die Quintessenz lässt sich in keinem Fall abstreiten: Das Lustprinzip ist nicht nachhaltig. Und so fällt die Lust bei Platon der Abrechnung mit ihren Risiken und Nebenwirkungen zum Opfer.
    Platons Antwort auf die Kernfrage ist also: so wenig Genüsse wie unbedingt nötig! Wer die Wahrheit und das Gute liebt, lässt sich von seinen niederen Instinkten nicht verwirren. Nicht Sexualität, Geld, Essen oder sonstige Vergnügen machen dauerhaft glücklich, sondern nur die enthaltsam-philosophische Lebensführung. Alles andere ist alles andere. Und wer sein Leben nach dem Kriterium der Lust und Unlust bemisst, wählt einen falschen Maßstab.
    Doch welcher ist richtig? Die Kunst, sein Leben schlau zu bemessen, ist eine ziemlich schwierige Sache. So klar Platons Kritik am falschen Bemessen ausfällt, so schwer tut er sich zugleich damit, einen besseren Maßstab zu liefern. Macht man es sich leicht, so könnte man sagen, der Maßstab wäre Wissen und Erkenntnis. Aber macht das Messen des Lebens am Maßstab der Wahrheit wirklich glücklich? Selbst wenn die Freuden der Erkenntnis manchmal
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