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Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein

Titel: Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
Autoren: Richard David Precht
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begleiteten. Möge der deutsche Wähler und Steuerzahler nicht nur in meinem Interesse den Börsengang der Deutschen Bahn auch weiterhin erfolgreich verhindern.
     
    Ville de Luxembourg, im August 2010
Richard David Precht

Gut und Böse

Platons Talkshow
    Was ist das Gute?
    Was eine Talkshow ist, darauf kann man sich leicht verständigen. Eine Talkshow ist eine Unterhaltungssendung in Form eines Gesprächs in Hörfunk und Fernsehen. Ein Gastgeber versammelt seine Gäste an einem ausgewählten Ort, meistens einem Studio, interviewt sie und eröffnet ein von den Moderatoren gelenktes Gespräch unter den Teilnehmern.
    So weit, so klar. Aber wer hat’s erfunden? Glaubt man Wikipedia, so kommt die Talkshow aus den USA, erfunden in den 1950er Jahren. Und in Deutschland geht es 1973 los mit - erinnern Sie sich? - Dietmar Schönherrs Je später der Abend. Aber der eigentliche Urheber der Talkshow ist - Platon.
    Etwa 400 Jahre vor Christus beginnt der griechische Philosoph mit der Konzeption eines gelehrten Talks über die großen Fragen dieser Welt: Wie soll ich leben? Was ist das Glück? Was ist das Gute? Wozu brauchen wir die Kunst? Und warum passen Frauen und Männer nicht zusammen?
    Der Produzent der Show heißt Platon - und sein Gastgeber ist Sokrates. Und er ist wirklich ein abgekochter Profi. Nonchalant hält er das Gespräch zusammen, leitet die Runde, gibt wichtige Impulse und stellt mehr oder weniger vergiftete Fragen. Fast immer legt er die anderen dabei rhetorisch aufs Kreuz. So sicher sich die anderen Gäste zu Beginn des Gesprächs mit ihren Ansichten sind, am Ende müssen sie einsehen, dass Sokrates selbst mal wieder der Klügste von ihnen ist. Mehr oder weniger überzeugt stimmen sie seiner Meinung zu. Dabei sind die zwei, drei
oder vier Gesprächsteilnehmer stets hochkarätige Gäste, Politprofis, Poeten, Propheten und Pädagogen - ausgewiesene Experten der Staatskunst, der Kriegsführung, der Rhetorik oder der Künste. Als Kulisse dienen unterschiedliche Settings. Mal versammeln sich die Gäste in der Villa eines Prominenten, mal machen sie einen Spaziergang in der Umgebung Athens, mal diskutieren sie beim Abendessen. Und ein anderes Mal treffen sie sich sogar im Knast. Die Schauplätze wirken so echt und authentisch wie die Gäste. Der einzige Haken ist - alles ist abgesprochen und inszeniert. Und aus Mangel an elektronischen Ausstrahlungsmöglichkeiten begnügt sich der Produzent mit Papier.
    Aber immerhin: Als erster Denker des Abendlandes entscheidet sich Platon dazu, den Widerstreit der Vorstellungen, Ansichten und Ideen nicht wegzureden, sondern ihn auszudiskutieren. Fast alles, was wir von Platons Schriften haben, sind solche Diskussionen und Streitgespräche. Doch was ist der Sinn des Ganzen? Wer war dieser Platon?
    Der Junge hatte ein beneidenswertes Leben, aufgewachsen mit einem goldenen Löffel im Mund. 1 Seine Familie war so reich wie einflussreich. Doch die Chancen für ein ruhiges Leben standen schlecht. Zu bewegt waren die Zeiten. Als Platon geboren wird, im Jahr 428 vor Christus, ist Perikles, Athens politischer Superstar, gerade gestorben. Eine Zeitenwende. Der lange blutige Krieg mit den Rivalen aus Sparta hat begonnen; am Ende wird er Athen vernichten.
    Platon selbst aber geht es gut. Während die Soldaten Athens in Sizilien scheitern und umkommen, das spartanische Heer marodierend durchs Umland zieht, während die Demokratie in der Stadt durch eine Wirtschaftselite ausgehebelt wird, die Flotte untergeht und die attische Demokratie schließlich vollends zusammenbricht, erhält er eine vorzügliche Ausbildung. Man darf vermuten, dass er Karriere machen will, ein mustergültiges Beispiel geben für seine Familie.
    In der Stadt dagegen herrscht Anarchie. Die Ordnung verfällt
im Eiltempo. Ein Menschenleben ist nicht mehr viel wert. Eines Tages in dieser Zeit trifft Platon in den Straßen einen merkwürdigen Menschen, einen Herumtreiber ohne Geld und Gut, einen, wenn man so will, blitzgescheiten Obdachlosen. Die jungen Nachwuchsintellektuellen der Stadt sind fasziniert. Konsequent verzichtet der Aussteiger auf alles Hab und Gut. Ein Revoluzzer, bewaffnet allein mit seiner gefährlichen Rhetorik, der die Herrschenden auslacht. Ein Spötter, der ihre Werte veralbert, ihre Weltweisheiten entzaubert. Der Name dieses Mannes ist: Sokrates.
    Hunderte von Geschichten ranken sich um Sokrates. Doch wer dieser Mensch in Wirklichkeit war, darüber wissen wir fast nichts. Wie Jesus Christus ist er vor
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