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Die Kunst des klugen Handelns: 52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen (German Edition)

Die Kunst des klugen Handelns: 52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen (German Edition)

Titel: Die Kunst des klugen Handelns: 52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen (German Edition)
Autoren: Rolf Dobelli
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die versammelten Adligen auf, in der Präsenz all dieser Reliquien der maßlosen Gewalt abzuschwören und künftig auf Angriffe gegen Unbewaffnete zu verzichten. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, wedelte er vor ihren Gesichtern mit den blutigen Tüchern und heiligen Knochen. Der Respekt vor den Reliquien muss gewaltig gewesen sein, denn das Beispiel des französischen Bischofs machte Schule: Seine eigenwillige Art des Gewissensappells breitete sich unter den Begriffen »Gottesfrieden« (lateinisch Pax Dei ) und »Waffenruhe Gottes« ( Treuga Dei ) in ganz Europa aus. »Man sollte niemals die Angst der Menschen im Mittelalter vor den Heiligen und deren Reliquien unterschätzen«, kommentiert der amerikanische Historiker Philip Daileader.
    Als aufgeklärter Mensch können Sie über diese dumpfe Furcht nur lachen. Aber warten Sie mal – wie haben Sie auf die Eingangsfrage geantwortet? Würden Sie Hitlers Pullover tragen? Wohl kaum, oder? Das ist erstaunlich, denn es zeigt, dass auch Sie keineswegs allen Respekt vor unfassbaren Kräften verloren haben. Hitlers Pullover hat rein materiell nichts mehr mit Hitler zu tun. Trotzdem ekeln Sie sich davor.
    Magische Wirkungen dieser Art lassen sich nicht einfach ausschalten. Paul Rozin und seine Forschungskollegen der University of Pennsylvania baten Versuchspersonen, ein Foto von einer ihnen nahestehenden Person mitzubringen. Die Wissenschaftler pinnten das Foto ins Zentrum einer Zielscheibe und forderten die Probanden auf, Dartpfeile darauf zu werfen. Es tut der Mutter ja nicht weh, wenn ihr Bild mit Pfeilen durchlöchert wird! Trotzdem war die Hemmung groß. Die Teilnehmer trafen viel schlechter als eine Kontrollgruppe mit leerer Zielscheibe. Ja, sie verhielten sich so, als würde sie eine magische Kraft abhalten, auf die Bilder zu zielen.
    Verbindungen zwischen Personen und Dingen – selbst wenn sie längst vergangen oder nur immaterieller Art sind wie bei den Fotos – lassen sich kaum ignorieren: Das besagt der Berührungsdenkfehler (englisch Contagion Bias ). Eine Freundin war lange Zeit Kriegskorrespondentin für den staatlichen Fernsehsender France 2. So wie Passagiere einer Karibik-Kreuzfahrt von jeder Insel ein Souvenir mitnehmen – einen Strohhut, eine bemalte Kokosnuss –, besitzt auch sie einen Schrank voller Kriegssouvenirs. Einer ihrer letzten Einsätze war Bagdad 2003. Wenige Stunden nachdem die amerikanischen Truppen Saddam Husseins Regierungspalast gestürmt hatten, schlich sie sich in die Privatgemächer. Im Speisesaal erspähte sie sechs vergoldete Weingläser, die sie prompt mitgehen ließ. Als ich sie neulich in Paris besuchte, servierte sie den Wein in diesen Gläsern. Jedermann war von dem Prunk begeistert. »Gibt es die bei Lafayette?«, fragte jemand. »Das sind Saddam Husseins Gläser«, sagte sie lakonisch. Eine aufgebrachte Kollegin spuckte den Wein angeekelt zurück ins Glas und begann hysterisch zu husten. Ich konnte nicht anders und musste noch einen draufsetzen: »Ist es dir eigentlich klar, wie viele Moleküle du mit jedem Atemzug einatmest, die Hussein auch schon in seiner Lunge hatte?«, fragt ich sie. »Ungefähr eine Milliarde.« Ihr Hustenanfall verstärkte sich noch.



WARUM ES KEINEN DURCHSCHNITTLICHEN KRIEG GIBT
    Das Problem mit dem Durchschnitt
    Angenommen, Sie sitzen im Bus mit 49 weiteren Personen. Bei der nächsten Haltestelle steigt die schwerste Person Deutschlands ein. Frage: Wie stark verändert sich das Durchschnittsgewicht der Menschen im Bus? Um 4 %? 5 %? – Etwas in dieser Größenordnung.
    Angenommen, Sie sitzen immer noch im selben Bus, aber jetzt steigt Karl Albrecht ein, der reichste Mann Deutschlands. Wie stark verändert sich das Durchschnittsvermögen der Passagiere? Um 4 %? 5 %? – Weit gefehlt!
    Rechnen wir das zweite Beispiel kurz durch. Nehmen wir an, jede der 50 zufällig ausgewählten Personen hat ein Vermögen von 54.000 Euro. Das entspricht dem statistischen Zentralwert (Median). Nun setzt sich Karl Albrecht mit geschätzten 25 Milliarden Euro hinzu. Das neue Durchschnittsvermögen im Bus schießt auf 500 Millionen hoch, eine Steigerung von einer Million Prozent. Ein einziger Ausreißer verändert das Bild komplett, und der Begriff »Durchschnitt« macht in diesem Fall überhaupt keinen Sinn mehr.
    »Überquere nie einen Fluss, der im Durschnitt einen Meter tief ist«, warnt Nassim Taleb, von dem ich auch die Bus-Beispiele habe. Der Fluss kann über lange Strecken wenige Zentimeter
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