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Die Kinder des Saturn

Die Kinder des Saturn

Titel: Die Kinder des Saturn
Autoren: Stross Charles
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nichts dergleichen, sondern etwas wirklich Dummes: Während ich mit einem Fuß über dem Abgrund hänge, fasse ich mit der freien Hand nach dem Arm des Zwergs.
    »Hoppla!« Ich greife daneben und erwische versehentlich den Kopf des Gnoms, der mich daraufhin zurück an den Balkonrand drängt. Seine Füße sind so fest im Boden verankert, als wären sie dort angeklebt, aber ich bin doppelt so groß wie er und mindestens fünfmal so schwer. Als er erneut den Elektroschocker hebt, gerate ich in Panik, packe seine Schulter und stoße ihn mit aller Kraft weg, um so viel Abstand wie möglich zwischen uns zu bringen. Nur vergesse ich dabei, ihn loszulassen.

    Der Kopf, den ich immer noch im Schwitzkasten habe, löst sich vom Körper. Sofort erschlafft der Rest und schlägt scheppernd auf dem Boden auf. Zugleich sickert aus dem Halsstumpf eine blasse Flüssigkeit, die den Rumpf versiegeln und vor weiteren Schäden schützen soll. Immer noch summt und surrt die Elektrokeule. Sobald sie mich berührt, bin ich dem Tode geweiht, deshalb schlage ich einen großen Bogen um sie herum, während ich der Domina den Zwergkopf hinstrecke und sie wütend anfunkle.
    »Das wird dir noch leidtun«, sagt der Kopf und benutzt dazu die Elektrosprache, da ihm der Kehlkopf fehlt.
    »Da hat er Recht«, bestätigt die Domina und grinst mich unverschämt an. Offenbar amüsiert sie sich gut. »Stone, solltest du wissen, ist ziemlich rachsüchtig. Du musst schon weit weglaufen, Gliederpüppchen, um dich zu verstecken. Und dann kannst du nur hoffen, dass er dich nicht findet.«
    »Wird er mich auch verfolgen, wenn ich ihn fallen lasse?«, frage ich und strecke den Kopf über den Abgrund. Dabei trete ich vorsichtig einen Schritt vom glitschigen Rand des Balkons zurück und taste mit meiner mit Stacheln gespickten linken Ferse nach einem sicheren Halt.
    »Das wirst du nicht tun«, sinniert die Domina. »Er ist sehr beliebt und hat mehr als zweitausend Geschwister, die dir und den deinen allesamt Rache schwören werden.« Sie lacht leise. »Das wäre doch lustig, oder?« Ihre Gefährtin – das Echo ihrer Gebieterin – kichert komplizenhaft. »Also los, lass ihn fallen, Püppchen. Vielleicht lasse ich dir eine Kopflänge Vorsprung.«
    Ich drehe Stones Kopf so, dass sie sein Gesicht sehen kann, und untersuche die Rückseite seines Halsstumpfs. Wie erwartet sitzt dort ein Seelenchip – der Engel, der sich all seine Missetaten merkt. Mit zwei Fingernägeln ziehe ich den Chip aus der Fassung und halte ihn dem Zwergenkopf vor die Augen. Seine Lippen bewegen sich noch: gut. »Schau mal.« Ich schnippe den Chip in die aufgewühlte, von Wolken vernebelte Atmosphäre jenseits unserer schwebenden Insel. »Verabschiede dich von deinem Backup, Stone.« Selbst wenn er sich mit einem neuen Chip ausstattet, wird es
einige Zeit dauern, bis er neue Erinnerungen aufgezeichnet hat. Und Monate, bis ältere Erfahrungen im Chip abgespeichert werden – wie die an dieses Geschehen. Bis dahin wird er seine Erlebnisse nicht an seine Geschwister weitergeben können. Vorsichtig lasse ich seinen Kopf auf den Balkonboden gleiten. »Falls du mich verfolgst und ich dich nochmals töte, hast du’s dir nur selbst zuzuschreiben.«
    Ich trete den Rückzug an und stoße zu meiner Rechten auf eine andere Glastür.
    »Ich krieg dich schon!«, formuliert sein Mund lautlos, während ich die Flucht antrete.

    Das hier ist kein Ort für meinesgleichen. Ich bin keine Spielerin, und die hier angebotenen Vergnügungen sind auch nicht für solche wie mich gedacht. Ich bin ein Artefakt aus einer früheren Epoche, zur falschen Zeit am falschen Ort, auf mich gestellt und völlig isoliert. Voller Angst und Wut mache ich mich auf die Suche nach dem Sauerstoff produzierenden Zentrum des Palastes. Schließlich finde ich eine für das Personal vorgesehene Luftschleuse, die so groß ist, dass ich sie betreten kann. Auf dem Weg hindurch dusche ich mit flüssigem Wasser, spüle meine Partyklamotten mit dem Schaumstrom fort und sorge dafür, dass die glitzernden langen Fingernägel und die Stacheln an den Fersen sich einziehen und meine Brustwarzen und Schamhaare wieder ihr normales Aussehen annehmen. Mein langes rotes Haar und das Gesicht behalte ich bei, denn auf manche Aspekte der Identität verzichtet man nur ungern, wie hoch der Preis dafür auch sein mag. Am anderen Ende der Luftschleuse erwartet mich der Drucker, der zweckdienliche Kleidung für mich herstellen kann – Kleidung, die zu meinem
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