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Die Keltennadel

Die Keltennadel

Titel: Die Keltennadel
Autoren: Patrick Dunne
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irischen Kunstszene, war für die morgige Ausgabe der Radiosendung Artspeak geplant, zeitgleich mit der Eröffnung seiner neuesten Ausstellung »Cryptology«. Sie konnte es genauso gut heute Abend bearbeiten, anstatt morgen zur Vernissage zu kommen, deren Besuch er ihr ans Herz gelegt hatte.
    Wind und Regen peitschten durch Temple Bar, Dublins Künstlerviertel, als Jane auf ein Café zusteuerte. Sie stieß die Tür auf, ein Wirbel kalter Luft folgte ihr. Sie setzte sich an einen kleinen Tisch neben einem Heizkörper, legte den schlappen Samthut und die Wollhandschuhe ab und stellte die lederne Umhängetasche neben sich auf die Bank. Sofort erschien eine Kellnerin, bei der sie einen Cappuccino bestellte. Jane nahm einen metallicblauen Minirecorder, nicht größer als eine Zigarettenschachtel, aus ihrer Tasche und legte ihn auf den Tisch. Dann steckte sie sich einen winzigen Knopfhörer ins Ohr, startete das Gerät und hörte sich O’Loughlins Antwort auf ihre erste Frage an:
    … sagte, Kunst ist überhaupt ganz nutzlos, aber das war nur ein superschlauer Spruch fürs Publikum, das ihm alles kritiklos abnahm, inzwischen begeisterten er und seine Freunde sich für Pornografie von Aubrey Beardsley und wichsten in Messbücher, während sie Statuen von gehäuteten Märtyrern betrachteten… Für mich kommt es rund hundert Jahre später darauf an, alles in die Öffentlichkeit zu bringen… Scheiße, meine Generation ist mit Porno und Gewaltvideos aufgewachsen, erwarten Sie, dass ich Sonnenuntergänge male… Wenn ich es täte, würde ich’s »Himmlische Pollution« nennen, deshalb haben wir so tolle Sonnenuntergänge und so beschissenes Wetter, ha, ha…
    Sie würde reichlich redigieren müssen. Vorsichtshalber hatte sie aber auch Kara McVey interviewt, O’Loughlins Lebensgefährtin und Leiterin der Riverrun Gallery, in der die Ausstellung stattfand.
    Die Kellnerin kam mit dem Kaffee. Jane wurde langsam warm, sie zog den Reißverschluss ihrer wetterfesten, gewachsten Jacke auf, umfasste die Tasse mit beiden Händen und sah aus dem Fenster. Gut zehn Meter entfernt, auf den Stufen zu einem offenen Platz, versammelte sich eine kleine Gruppe Männer und Frauen in Wind und Regen. Jane beobachtete träge, wie sie zwei Reihen bildeten, eine stand eine Stufe höher als die andere. Sie begannen zu singen. Jane schaute sich im Café um, ob noch jemand die Gruppe bemerkt hatte, und fing den Blick der Kellnerin hinter der Theke auf.
    »Bisschen spät dran für Weihnachten, was?«, sagte die Bedienung in ihrer trockenen Dubliner Art.
    »Wer sind die?«
    »Jedenfalls keine Weihnachtssänger – bloß wieder so ein Haufen, der glaubt, dass das Ende der Welt bevorsteht.«
    »Leute, die an das tausendjährige Reich Christi und so glauben?«
    »Ja, nur dass die Bande hier musikalisch ist und sich offenbar drauf freut. Sie kommen jetzt schon seit Wochen. Ein paar Kirchenlieder, dann hält dieser eine Typ eine Rede, und sie verteilen Flugblätter.«
    Jane trank ihren Kaffee aus und zog sich wieder warm an. Sie zahlte an der Theke und dankte der Kellnerin. Als sie auf den Platz trat, hörte sie die letzten Worte eines Chorais:
    Reichlich schenkest du Vergebung Vor dem Tage der Vergeltung.
    Ein junger Mann löste sich aus der Gruppe und reichte Jane ein Flugblatt, als sie vorüberging. Es ähnelte mehr einem Comic als einem religiösen Traktat. Sie ging über den Platz zu Merchants’ Arch, wo die Leute in der Gasse, die zur Liffey hinabführte, gegen den Wind ankämpften. Sie blieb stehen, um zwei ältere Damen vorbeizulassen; eine stützte sich mit der Hand an der Wand ab, und die andere klammerte sich an sie. Während sich die beiden an Jane vorbeimühten, steckte sie das Flugblatt in ihre Tasche. Vom Platz her schnappte sie einen amerikanischen Akzent auf, der aus einem Megafon tönte.
    Sie hatte bereits beschlossen, einen Bus nach Ryevale zu nehmen, einer Vorstadt fünfzehn Kilometer westlich der Stadtmitte, und sich unterwegs ihr Interview anzuhören. Dann konnte sie ihren Wagen abholen, der dort zur Inspektion war, und das Interview zu Hause bearbeiten.
    Bevor sie in der Abbey Street in den Bus stieg, kaufte sie den Evening Herald mit der Schlagzeile:
    RITUALMORD IN KIRCHE.
    Die Nachricht vom Fund der Leiche Sarah Glennons war zu spät für die Morgenzeitungen gekommen, aber Jane kannte einige Einzelheiten aus den Radionachrichten und aus Gesprächen im Büro.
    Sie setzte sich an ein von Kondenswasser beschlagenes Fenster und las den
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