Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Keltennadel

Die Keltennadel

Titel: Die Keltennadel
Autoren: Patrick Dunne
Vom Netzwerk:
weiterhin an den Knöcheln gefesselt. Beim abermaligen Hinausgehen hatte er versehentlich den Vorhang einen Spalt offen gelassen, sodass sie einen Blick ins Erdgeschoss des Turms werfen konnte. Edwards saß da draußen an einer Werkbank und zerschnitt etwas mit der Schere.
    Nach einer Weile gab er diese Beschäftigung auf und ging aus Janes Blickfeld. Sie vermutete, dass er nach oben gegangen war, denn sie hörte von irgendwoher Beccas Musik kommen, und dazu hörte sie Edwards sprechen. Er musste wohl telefonieren. Bestätigte er, dass die dritte Prophezeiung kurz vor ihrer Erfüllung stand?
    Dann bewegte ein Luftzug draußen auf der Werkbank etwas. Ein weißes Papier rutschte auf den Stuhl herab und hing so über den Rand, dass Jane es sehen konnte. Edwards hatte aus Papier eine Reihe Mädchen ausgeschnitten, gelocktes Haar, einander an den Händen haltend, rechtwinklige Körper und simple Dreiecke als Röcke über den dürren Beinen. Aber er hatte sie zerstört, indem er ein auf dem Kopf stehendes V bis hoch zum Schritt in die Röcke geschnitten hatte, dann seitlich in die Leisten, und in die Füße und die kleinen Brüste hatte er je zwei Löcher gestoßen.
    Sie hörte, wie er zurückkam, dann zog er den Vorhang zur Seite, und sie sah eine Leiter, die von der Ebene darüber herabführte und die bis jetzt vor ihrem Blick verborgen gewesen war.
    Edwards trat an den Tisch. Er trug Chirurgenhandschuhe und sagte: »Nun ist es so weit. Die dreifache Reinigung muss vollendet werden.«
    Er ging zu der Wand auf Janes linker Seite und zog das Schwert ein kleines Stück aus der Bambusscheide. »Dieses Schwert«, sagte er, und seine Augen verrieten eine gefährliche Mischung aus Niederlage und Triumph, als hätte er sich für die zweitbeste Lösung entschieden, »wird dir eine große Ehre erweisen. Als unser verehrter Poet und Prophet es als Geschenk erhielt, war es in Tuch aus dem Kleid einer Dame vom japanischen Kaiserhof gewickelt – eine höchst angemessene Hülle für eine so wundervolle Arbeit, wie du zugeben musst. Und nun wirst du seine Hülle sein!«
    Er stieß das Schwert wieder in die Scheide und begann zu schreien. »Dein Vergehen ist unaussprechlich! Nur ein Gegenstand, der durch seine Verbindung mit dem größten Seher seiner Zeit gesegnet ist, vermag dich zu läutern. Und einen sicheren Abstand zwischen mir und deinem… deinem Schmutz zu gewähren, während ich meine heilige Aufgabe erfülle. Und da du mich auf höchst widerwärtige Weise besudelt hast, wirst du lebend erdulden, was die anderen erst im Tod erfuhren. Das Ritual muss umgekehrt werden!«
    Der Aufschub ihres Schicksals hatte Jane beinahe schon optimistisch gestimmt, was ihre Lage betraf. Während sie auf Edwards’ Rückkehr wartete, hatte sie sich überlegt, dass ein Mensch eine solche Intensität des Schreckens nicht unbegrenzt lange ertragen konnte. Dass der menschliche Verstand es vorzog, auf eine Illusion der Hoffnung umzuschalten. Doch nun gähnte der Abgrund der Verzweiflung wieder offen unter ihr, bereit, sie zu verschlingen. Es war eine Entscheidungsschlacht zwischen ihrer geistigen Gesundheit und Edwards’ Wahn.
    Er war an ihre rechte Seite gekommen und zog die Schere aus der Tasche. Er öffnete und schloss sie erregt. Sein Tonfall wurde ruhiger, und er begann zu rezitieren, während er in die Luft schnippelte.
    »Die Fleischesblumen der Lust zuerst… denn sie werden zu den Warzen, welche die Welpen säugen, die ihren blutigen Eingeweiden entspringen, und solcherart wird der Mann auf ewig versklavt…«
    Aus irgendeinem Grund hielt er inne und steckte die Schere zurück in die linke Tasche seines Gewandes.
    Dann ging er an die gegenüberliegende Wand und nahm das Instrument zum Zerquetschen der Brust vom Haken.

77
    D er Turm des Kornspeichers ragte drohend in den Nachthimmel, durch dessen Wolkenschleier ein milchiger Mond schien. Unter den nahen Bäumen lag ein halbes Dutzend Detectives und uniformierte Polizisten auf der Lauer. Dempsey und Taaffe standen mit gezogenen Revolvern links und rechts der Tür zu Edwards’ Wohnung auf der Treppe, die um den Turm herumführte. Sie hatten ein paar Schritte oberhalb der Tür durch ein vergittertes Fenster gespäht. Der runde Raum dahinter wurde von einem flackernden Fernsehschirm erhellt, aus einer offenen Falltür in der Mitte des Raums kam ebenfalls ein Lichtschein. Sie nahmen an, dass Edwards mit Jane da unten war.
    Taaffe legte die flache Hand an die massive Tür und drückte. Es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher