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Die Katzen von Ulthar

Die Katzen von Ulthar

Titel: Die Katzen von Ulthar
Autoren: H.P. Lovecraft
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dahin, mit seinen fernen Segeln und den langen, sonderbaren Ruderreihen, die sich rhythmisch bewegten. Eines Nachts erspähte ich an Deck einen Mann, bärtig und in Roben gekleidet, und er schien mich aufzufordern, mich nach fernen, unbekannten Küsten einzuschiffen. Ich sah ihn noch viele Male danach unter dem Vollmond, und immer winkte er mir einladend zu.
    In der Nacht, als ich der Aufforderung folgte, leuchtete der Mond sehr hell, und ich schritt auf einer Brücke aus Mondscheinstrahlen über das Wasser, hinaus zu dem Weißen Schiff. Der Mann, der mir zugewinkt hatte, hieß mich jetzt in einer weichen Sprache, die ich gut zu kennen schien, willkommen, und die Stunden waren von den weichen Liedern der Ruderer erfüllt, während wir einem 4
    mysteriösen Süden, golden im Glanz jenes vollen, milden Mondes, zusegelten.
    Und als der Tag rosig und strahlend dämmerte, schaute ich die blühende Küste ferner Länder, herrlich und schön und mir nicht bekannt. Vom Meer stiegen stolze, baumbestandene Grünterrassen hoch, und hier und dort blitzten die weißen Dächer und Kolonnaden fremdartiger Tempel. Als wir uns der blühenden Küste näherten, erzählte mir der bärtige Mann von diesem Land, dem Lande Zar, wo sich all die schönen Träume und Gedanken aufhalten, die nur einmal zum Menschen kommen und dann vergessen werden. Und als ich wieder auf die Terrassen blickte, fand ich, daß er die Wahrheit sprach, denn unter den vor mir hingebreiteten Ansichten war vieles, was ich einst durch die Nebel jenseits des Horizonts und in den phosphoreszierenden Tiefen des Ozeans gesehen hatte. Es gab auch Formen und Phantasien, die herrlicher waren als alles, was ich je gekannt hatte; die Visionen junger Dichter, die in Armut starben, ehe die Welt erfahren konnte, was sie geschaut und geträumt hatten. Doch wir setzten auf die ansteigenden Auen von Zar keinen Fuß, denn es heißt, daß, wer sie betritt, nie mehr zu seiner heimatlichen Küste zurückkehren dürfe.
    Als das Weiße Schilf still von den Tempelterrassen von Zar davonsegelte, entdeckten wir voraus am fernen Horizont die Spitztürme einer mächtigen Stadt; und der bärtige Mann sagte zu mir: »Dies ist Thalarion, die Stadt der Tausend Wunder, in der all jene Mysterien residieren, die der Mensch vergeblich zu ergründen gesucht hat.« Und als ich aus geringerer Entfernung wieder hinblickte, sah ich, daß die Stadt größer war, als jede andere Stadt, die ich bislang gekannt oder im Traum geschaut hatte. Die Türme ihrer Tempel reichten bis in den Himmel, so daß niemand ihre Spitzen zu sehen vermochte, und weit hinten am Horizont erstreckten sich grimme, graue Mauern, über die man nur einige wenige Dächer erspähen konnte, geisterhaft und ominös, und doch mit reichen Friesen und verführerischen Skulpturen geschmückt. Es verlangte mich sehr, diese faszinierende und zugleich abstoßende Stadt zu betreten, und ich flehte den Bärtigen an, mich an dem glänzenden Pier bei dem gewaltigen, gemeißelten Tor Akariel an Land zu setzen; aber er schlug mir meine Bitte freundlich ab, indem er sagte: »Thalarion, die Stadt der Tausend Wunder, haben viele betreten, aber keiner ist zurückgekehrt. In ihr wandeln nur Dämonen und irrsinnige Wesen, die keine Menschen mehr sind, und die Straßen sind weiß von den unbestatteten Gebeinen jener, die auf das Eidolon Lathi geblickt haben, das über die Stadt regiert.« So segelte das Weiße Schiff an den Mauern von Thalarion vorbei und folgte viele Tage einem südwärtsfliegenden Vogel, dessen leuchtendes Gefieder dem Himmel glich, aus dem er gekommen war.
    Wir gelangten dann zu einer heiteren, mit Blüten, aller Tönungen geputzten Küste, wo sich, so weit wir ins Landesinnere schauen konnten, liebliche Haine und prunkende Obstgärten unter einer mittäglichen Sonne wärmten. Aus unserem Blick verborgenen Lauben schallten Lieder und Bruchstücke lyrischer Harmonien, vermischt mit so entzückendem Gelächter, daß ich in meinem Eifer die Ruderer anspornte, jenen Schauplatz zu erreichen. Und der bärtige Mann sagte kein Wort, sondern beobachtete mich nur, als wir uns dem liliengesäumten Ufer näherten. Plötzlich trieb ein Wind, der über die Blumenwiesen und Laubwälder strich, einen Geruch herüber, der mich erzittern 5
    ließ. Der Wind schwoll an, und die Luft füllte sich mit dem lethalen Grabesgestank pestbefallener Städte und offenliegender Friedhöfe. Und als wir wie rasend von jener verdammungswürdigen Küste absegelten, sprach
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