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Die Katze riecht Lunte

Die Katze riecht Lunte

Titel: Die Katze riecht Lunte
Autoren: Rita Mae Brown
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dann wieder auf ihren Schultern nieder.
    Der Mai, neben dem farbenfrohen Oktober gewöhnlich der schönste Monat in Mittelvirginia, blieb dieses Jahr bemerkenswert kühl; die Temperatur hielt sich bei zehn, fünfzehn Grad. Vor einer Woche, in den letzten Apriltagen, war ein Schneesturm von den Blue Ridge Mountains herabgefegt; er hatte die schwellenden Knospen zugedeckt und die Narzissen und Tulpen erfrieren lassen. Das alles war vergessen, als die Judasbäume blühten und der Hartriegel saftig weiß oder rosa auszuschlagen begann. Das Gras wurde grün.
    An diesem Nachmittag konnten die Tiere die Augen nicht offen halten. Zuweilen brachte ein abrupter Jahreszeitenwechsel sämtliche Lebewesen vollkommen aus dem Tritt. Sogar Harry, sonst vor Tatendrang kaum zu bremsen, döste in der Sattelkammer. Sie war besten Willens, das Sattelzeug zu reinigen, ein eintöniges Unterfangen, das dem Jahreszeitenwechsel vorbehalten war. Harry hatte viel vor an diesem Morgen, aber sie war eingeschlafen, bevor sie noch das Zaumzeug auseinandergenommen hatte.
    Die Farm, die ihre verstorbenen Eltern ihr vermacht hatten, betrieb Harry allein – sofern es als »allein« durchging, wenn man geschieden war und den Exmann häufig um sich hatte. Die Farmarbeit, heutzutage durch behördliche Vorschriften erschwert, warf genug Geld ab, um die Steuern abzudecken. Für Essen und Kleidung war Harry auf ihre Anstellung im Postamt von Crozet angewiesen.
    Harry, eine Frau in den Dreißigern, war sich ihrer Reize nicht bewusst. Ihr einziges Zugeständnis an weibliche Eitelkeit war ein ordentlicher Haarschnitt. Sie lebte in Jeans, T-Shirts und Cowboystiefeln. Ihre Cowboystiefel trug sie sogar zur Arbeit. Da das Postamt von Crozet klein und abgelegen war, brauchte sie kein Karriere-Outfit.
    Harry maß Erfolg am Lachen, nicht am Geld. Sie war ungemein erfolgreich. Wenn sie nicht mit anderen Menschen lachte, dann lachte sie mit der allzeit geistreichen Mrs Murphy, mit Tucker oder mit Pewter, der Katze, die zum Essen kam.
    Pewter, die sich auf Harrys Schoß zusammengerollt hatte, träumte von Creme brulee. Andere Katzen träumten von Mäusen, Maulwürfen, Vögeln, der gelegentlichen Spinne. Pewter beschwor Bilder von Filet Wellington, Kartoffelbrei, frischem Brot mit Butter und ihrer absoluten Lieblingsspeise, Creme brulee. Sie hatte die Kruste gern dünn und knusprig.
    Ein leises Surren in der Ferne veranlasste Mrs Murphy, ihr Ohr in diese Richtung zu schnippen. Das wunderliche Geräusch kam näher. Sie schlug ein Auge auf und ließ den Blick über die lange Lehmstraße schweifen, die mit Wasserpfützen vom nächtlichen Regen gesprenkelt war. Sie streckte sich, stand aber nicht auf.
    Das kehlige Dröhnen klang nach einer großen Katze, die ihr Territorium absteckt. Murphy hörte deutlich das Knirschen von Reifen auf grobem Kies. Neugierig hob sie den Kopf, richtete sich dann auf, streckte sich von vorne nach hinten und blinzelte im Sonnenlicht.
    Auch Pewter hob den Kopf.
    Tucker verharrte im Tiefschlaf.
    Mrs Murphy kniff die Augen zusammen und erblickte einen glänzenden schwarzen Wagen, der die ferne Kurve nahm.
    »Wir kriegen Besuch.«
    Unten hörte niemand auf sie. Mrs Murphy beugte sich vor und streckte den Kopf vom ersten Stock herunter, als Harrys Nachbar, Blair Bainbridge, am Steuer eines schwarzen Porsche 911 Turbo in die Zufahrt einbog.
    Tucker bellte. Mrs Murphy lachte in sich hinein – »Hunde!« –, als sie zur Leiter schlenderte. Das Erklimmen und Herabsteigen von Leitern war eine ihrer Paradeübungen. Letzteres war schwerer zu lernen gewesen. Der Trick bestand darin, nicht nach unten zu gucken.
    Sie trottete durch den staubigen Mittelgang zu Blair hinaus. Harry wachte auf, als Pewter ihr das Gesicht abschleckte. Tucker schnaubte, entrüstet über diese Ruhestörung, und trat ins Sonnenlicht.
    Blair grinste. »Hallo, Mrs Murphy.«
    »Hallo.« Sie rieb sich an seinem Bein.
    »Jemand zu Hause?«, rief Blair.
    »Bin sofort da«, antwortete Harry schlaftrunken.
    Die Tigerkatze schritt um das niedrige, schnittige Gefährt herum. »Das hat eine Katze entworfen.«
    »Wieso?« Tucker beäugte das Auto ohne große Begeisterung, aber Tucker bekundete nie große Begeisterung, wenn man sie gerade aufgeweckt hatte.
    »Weil es wunderschön und kraftvoll ist.«
    »Du hast Minderwertigkeitskomplexe, stimmt’s?«
    Harry ging hinaus, dann blieb sie abrupt stehen. »Wunderschön!«
    »Soeben geliefert.« Blair lehnte sich gegen den abgeschrägten vorderen
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