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Die Kälte in dir (German Edition)

Die Kälte in dir (German Edition)

Titel: Die Kälte in dir (German Edition)
Autoren: Oliver Kern
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er eine schmerzliche Grimasse schnitt.
    »Ich habe Sie gebeten, sich für die Versetzung meines Sohnes auszusprechen, nachdem vor einem halben Jahr eine Stelle in Ihrer Abteilung vakant war«, half er ihr auf die Sprünge. »Aber Sie haben nicht einmal darüber nachgedacht, habe ich recht?«
    »Hören Sie, Fischer, wir steckten damals in einem schweren Fall, ich habe es nicht geschafft …«
    Es hatte keinen Sinn, nach einer Entschuldigung zu suchen. Sie hatte es schlichtweg vergessen, verdrängt, was auch immer. Damals war das große Chaos ausgebrochen. Dienstlich wie privat. Doch das würde Fischer alles nicht gelten lassen. Er war in Fahrt gekommen und wollte seinen Frust abladen, das sah sie ihm an.
    »Seit vier Jahren pendelt mein Sohn nach Mannheim, ist täglich über drei Stunden unterwegs. Er kann hier nicht wegziehen, wegen seiner Frau, seiner Kinder, dem Haus, das er gebaut hat. Das habe ich Ihnen alles dargelegt, aber ich befürchte, Sie haben nicht zugehört. Darin sind Sie nicht besonders gut, wenn man sich bei den Kollegen so umhört. Und selbstverständlich können Sie nicht verstehen, wie sehr so etwas an einer Ehe zehrt, wie schwierig es ist … Sie sind nicht verheiratet …« Er winkte ab, sah ein, dass das zu weit ging. Die Wut wich trotzdem nicht aus seinem Gesicht. »Ich kann nichts für Sie tun, Frau Oberkommissarin. Sie werden die drei Monate überleben.«
    Damit ging er durch die Glastür in das puristische Treppenhaus und nahm jeweils zwei Stufen auf einmal, bis er aus Kristinas Sichtfeld verschwunden war.
    Sie zerknüllte den Vollzugsbescheid, während sie ihr blasses Spiegelbild in der Glasscheibe betrachtete. Traurig und gleichzeitig aufgebracht sah sie aus. Und müde. Dabei lag der Tag noch vor ihr.
    »Da bist du ja endlich«, begrüßte sie Polizeiobermeister Werner Finckh, den Telefonhörer in der Hand, als sie das Büro betrat. »Ich wollte dich gerade …« Er legte auf und erhob sich von seinem Stuhl.
    Die Ungeduld in seiner Stimme ließ erahnen, dass etwas Brisantes passiert war. Doch der Ärger, der in Kristina brodelte, machte sie unempfänglich für das Verhalten ihres Kollegen. Die Hitze der letzten zwei Wochen staute sich im Büro und ließ den Morgen unerträglich werden. Dagegen konnte selbst der eiernde Tischventilator neben Finckhs Computerbildschirm nichts ausrichten.
    »Wir haben eine Leiche«, erklärte Finckh sachlich und tat einen Schritt Richtung Tür.
    »Wo?«, fragte sie automatisch, ohne den Inhalt der Botschaft wirklich verinnerlicht zu haben.
    Drei Monate ohne Führerschein.
Dieses Urteil war wie eine undurchdringliche Hülle, die alles andere von ihr fernhielt.
    Wie, zur Hölle noch mal, soll ich da meinen Job machen?
    »Welzheimer Wald«, antwortete Finckh. Seine hohe Stirn und die Wangen waren gerötet. Kristina vermutete, dass er am Abend zuvor zu lange ungeschützt in der Sonne gewesen war. Auf seiner Terrasse oder im Biergarten?
    »Du fährst!«, sagte sie und ging zu ihrem Schreibtisch. Sie holte die Dienstwaffe aus der Schublade und steckte das Halfter an den Gürtel ihrer Jeans. Automatisierte Bewegungsabläufe, die ohne zu denken geschahen.
    Eine Leiche!
    Für einen kurzen Moment war sie froh, nicht das leichte Sommerkleid zu tragen, das sie gestern Abend in den Flur gehängt hatte, nachdem sie bei einem Glas Wein auf dem Balkon allen Ernstes überlegt hatte, Polizeihauptmeister Jürgen Fischer damit zu bezirzen. Gut, dass sie heute Morgen zur Vernunft gekommen war. Es war unangebracht, mit nackten Beinen um einen Toten herumzuschleichen.
    Finckh wartete im Türrahmen und nestelte ungeduldig an der Knopfleiste seines Hemdes. Sein Bauch war im letzten halben Jahr ziemlich gewachsen.
    Wieso fiel ihr das jetzt auf? Sie fühlte sich ferngesteuert und konnte ihre Gedanken nicht ordnen. Unbedeutende Reize aus ihrer Umgebung schoben sich in den Vordergrund.
    Autofahren bedeutete für sie Freiheit. Lebensqualität. Bisweilen war es besser als Sex.
    Jetzt reiß dich zusammen, du hast womöglich einen neuen Fall an der Backe! Einen Mord?
    Wo, verdammt noch mal?
    Werner Finckh starrte sie erwartungsvoll an. Er war einer der wenigen, die noch nicht im Sommerurlaub waren. Augenblicklich standen noch zwei weitere Beamte der Kriminalkommission K1 zu Verfügung. Der mit Kindern gesegnete Rest war bereits in die schönste Zeit des Jahres geflüchtet. In überfüllte Ferienorte an den Mittelmeerküsten Spaniens oder in schattige Täler des bayerischen Mittelgebirges.
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