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Die Kälte Des Feuers

Die Kälte Des Feuers

Titel: Die Kälte Des Feuers
Autoren: Dean R. Koontz
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Teil ihres Selbst nahm auch andere Dinge zur Kenntnis: Mann und Junge rollten zum Rinnstein, der Lieferwagen schleuderte nach rechts, die Verkehrswächterin ließ ihr rotes Stoppschild sinken, der Wagen prallte an einem geparkten Auto ab, Mann und Junge blieben dicht neben dem Bürgersteig liegen, der Wagen kippte auf die Seite, glitt am Hang nach unten und ließ eine Kaskade aus gelben und blauen Funken hinter sich zurück … Aber der größte Teil von Hollys Aufmerksamkeit galt dem Schuh, der nach oben segelte, sich als dunkle Silhouette vor dem blauen Himmel abzeichnete, eine Stunde lang am Scheitelpunkt seiner Flugbahn zu verharren schien und dann ganz langsam herabfiel. Sie konnte den Blick nicht davon abwenden, war wie hypnotisiert und gab sich dem makabren Empfinden hin, daß der Fuß noch immer im Schuh steckte, zusammen mit Knochensplittern, fransigen Fleischfetzen und zerrissenen Adern. Er neigte sich nun der Straße entgegen, schwebte wie ein vom Wind getragenes Blatt, und die Journalistin spürte das Vibrieren eines Schreis in ihrer Kehle.
    Nach unten … unten …
    Der lädierte Schuh fiel vor Holly auf die Straße, und sie senkte zögernd den Kopf, starrte widerstrebend darauf hinab, betrachtete ihn so wie ein Ungeheuer in einem Alptraum.
    Eigentlich wollte sie ihn gar nicht sehen, aber sie war wie in einem Bann gefangen, aus dem sie sich vergeblich zu befreien versuchte. Der Schuh war leer. Er enthielt keinen abgetrennten Fuß, wies nicht einmal Blutflecke auf.
    Holly verschluckte den lautlosen Schrei. Ein bitterer Geschmack klebte an ihrem Gaumen, und sie schluckte erneut.
    Der Kleinlieferwagen blieb einen halben Block entfernt liegen, und Holly wandte sich um, eilte zu den beiden Gestalten am Rinnstein und erreichte sie, als sich Mann und Junge aufrichteten.
    Bis auf einige Hautabschürfungen an den Händen und am Kinn schien der Knabe unverletzt zu sein. Er weinte nicht einmal.
    Holly sank vor ihm auf die Knie. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
    Der Junge wirkte benommen, verstand jedoch und nickte. »Ja. Nur meine Hand tut ein bißchen weh.«
    Der Mann in der weißen Hose und dem blauen T-Shirt setzte sich auf, rollte die Socke zurück und massierte vorsichtig den linken Fuß. Der Knöchel war bereits deutlich angeschwollen, aber Holly stellte verblüfft fest, daß sich nirgends Blut zeigte.
    Die Verkehrswächterin, mehrere Lehrer und andere Kinder kamen näher; überall erklangen aufgeregte Stimmen. Eine Lehrerin half dem Jungen auf die Beine und umarmte ihn.
    Der verletzte Mann zuckte zusammen, als er weiterhin den linken Fuß massierte. Nach einer Weile hob er den Kopf und begegnete Hollys Blick. Für einen Sekundenbruchteil erschienen ihr seine hellblauen Augen so kalt, als seien es nicht die Pupillen eines Menschen, sondern die visuellen Sensoren einer Maschine.
    Dann lächelte der Fremde, und der Eindruck von Kälte wich sofort dem von Wärme. Holly war überwältigt von der Schönheit seiner Augen, verglich ihre Farbe mit der eines klaren Morgenhimmels und hatte das Gefühl, in eine sanfte, freundliche Seele zu blicken. Als Zynikerin mißtraute sie Nonnen ebenso wie skrupellosen Verbrechern, wenn sie ihnen zum erstenmal begegnete, doch von diesem Mann ging eine einzigartige Anziehungskraft aus, der sie sofort erlag. Zwar liebte sie Worte und hatte sie zum Gegenstand ihres Berufs gemacht, aber sie brachte keinen Ton hervor.
    »Das war knapp«, sagte der Fremde, und sein Lächeln forderte Holly zu einem Schmunzeln heraus.

4
    Holly wartete auf Jim Ironheart und stand im Flur der Schule, vor der Jungen-Toilette. Stille herrschte im Gebäude, nur gestört vom elektrischen Summen der Poliermaschine, die im Obergeschoß Vinylfliesen reinigte. Es roch nach Kreidestaub, Desinfektionsmitteln mit Fichtennadelduft und Knetmasse, die im Werkunterricht Verwendung fand.
    Draußen beaufsichtigte die Polizei wahrscheinlich noch immer zwei Angestellte eines Abschleppunternehmens, die den umgekippten Kleinlieferwagen aufrichteten und fortbrachten. Der Fahrer war betrunken gewesen. Derzeit befand er sich im Krankenhaus, wo Ärzte sein gebrochenes Bein und mehrere Quetschungen behandelten.
    Holly hatte nahezu alle Informationen, die sie für einen Artikel brauchte: der familiäre Hintergrund des Jungen - Billy Jenkins -, der fast ums Leben gekommen wäre, alle Fakten des Zwischenfalls, die Reaktionen der Augenzeugen, die Stellungnahme der Polizei, eine gelallte Aussage des betrunkenen Fahrers, in der sowohl
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