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Die Kälte Des Feuers

Die Kälte Des Feuers

Titel: Die Kälte Des Feuers
Autoren: Dean R. Koontz
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Angst zu tun bekam. Und so gab ich dir die Schuld, obwohl es weitaus besser gewesen wäre, dich in die Arme zu nehmen. In jener Nacht wandte ich mich gegen dich - und begriff meinen Fehler erst viele Jahre später, als es zu spät war.«
    Die Vögel bildeten nun einen dichten Schwärm und flogen direkt über ihnen.
    »Nein«, sagte Holly leise zu Jim. »Bitte nicht.«
    Bis er reagierte, konnte sie nicht wissen, ob ihm diese Enthüllungen halfen oder seinen Zustand noch verschlimmerten. Wenn er nur deshalb Vorwürfe gegen sich erhob, weil Henry damals ein ausgeprägtes Schuldbewußtsein in ihm geweckt hatte, so sollte es ihm eigentlich nicht sehr schwer fallen, damit fertig zu werden. Wenn er sich verantwortlich fühlte, weil der Feind aus der Wand gekommen war und Lena so sehr erschreckt hatte, daß sie das Gleichgewicht verlor und die Treppe hinunterstürzte - auch darüber müßte er eigentlich hinwegkommen. Aber wenn sich der Feind ganz aus der Wand gelöst und Lena gestoßen hat…, dachte Holly.
    »Während der nächsten sechs Jahre habe ich dich wie einen Mörder behandelt, bis du zum College gegangen bist«, sagte Henry. »Als du nicht mehr auf der Farm gewohnt hast… Nun, im Laufe der Zeit wurde mir klar, daß ich mich dir gegenüber völlig falsch verhalten habe. Du hattest niemanden, an den du dich wenden konntest, um Trost zu finden. Deine Eltern lebten nicht mehr, ebensowenig deine Großmutter. Häufig suchtest du den Ort auf, um dir Bücher zu besorgen, aber der Mistkerl namens Ned Zacca hinderte dich daran, mit den anderen Jungen zu spielen. Er war ein ganzes Stück größer als du und ließ dich nie in Ruhe. Nur in Büchern fandest du Frieden. Ich habe dich mehrmals angerufen, aber du nahmst nie ab. Ich habe dir Briefe geschrieben, die du wahrscheinlich nie gelesen hast.«
    Jim saß wie erstarrt, rührte sich nicht.
    Henry Ironheart richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Holly. »Schließlich kehrte er zurück, kurz nach dem Schlaganfall. Er saß neben mir, als ich in der Intensivstation lag. Ich konnte nicht richtig sprechen, konnte ihm nicht das erklären, was ich ihm erklären wollte. Die falschen Worte kamen mir über die Lippen, ergaben überhaupt keinen Sinn …«
    »Aphasie«, warf Holly ein. »Eine Folge des Schlaganfalls.«
    Henry nickte. »Nun, während meines Aufenthalts im Krankenhaus versuchte ic h einmal, ihm das zu sagen, was ich seit dreizehn Jahren wußte: daß er kein Mörder war, daß ich ihm gegenüber sehr grausam gewesen bin.« Neue Tränen quollen ihm aus den Augen. »Aber als ich darüber sprach, hörte es sich völlig falsch an. Für Jimmy klang es so, als nannte ich ihn einen Mörder, als fürchtete ich mich vor ihm. Er ging, und jetzt sehe ich ihn zum erstenmal wieder, nach mehr als vier Jahren.«
    Jim hielt den Kopf noch immer gesenkt.
    Die Hände zu Fäusten geballt.
    An was erinnerte er sich nun? Nur er wußte, was damals in der Mühle geschehen war.
    Holly erhob sich, viel zu nervös, um weiterhin auf Jims Reaktion zu warten. Eine Zeitlang stand sie vor der Bank und wußte nicht, wohin sie gehen sollte. Schließlich nahm sie wieder Platz und legte wie vorher die Hand auf Jims Faust.
    Sie blickte gen Himmel.
    Noch mehr Vögel. Jetzt etwa dreißig.
    »Ich habe Angst«, sagte Jim leise, und dann herrschte wieder Stille.
    »Nach jener Nacht hielt er sich von der Mühle fern und sprach nie wieder vom Freund oder dem Willot-Buch«, sagte Henry. »Zuerst sah ich ein gutes Zeichen darin und glaubte, daß er die Besessenheit überwunden habe - er wirkte weniger seltsam. Doch später … Ich fragte mich, ob er vielleicht seinen einzigen Trost verloren hatte.«
    »Ich habe Angst davor, mich zu erinnern«, murmelte Jim.
    Holly wußte, was er meinte: Eine letzte, seit langer Zeit versteckte Erinnerung wartete darauf, aus einem dunklen Winkel des Gedächtnisses geholt und akzeptiert zu werden. Sie betraf den Tod seiner Großmutter. War sie durch einen Unfall gestorben, oder hatte sie der Feind und damit er selbst - umgebracht?
    Sie konnte den Anblick des geneigten Kopfes und der geballten Fäuste nicht mehr ertragen, wich auch der Mischung aus Schuld, Kummer und Schmerz in Henrys Gesicht aus, sah noch einmal nach oben - und stellte fest, daß die Vögel kamen. Es waren mehr als dreißig, wie schwarze Messer, die durch den grauen Himmel schnitten. Sie flogen noch immer in großer Höhe, hielten jedoch direkt auf den Hof zu.
    »Jim, nein!«
    Henry starrte zu den Wolken hoch.
    Jim hob
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