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Die Judenbuche

Die Judenbuche

Titel: Die Judenbuche
Autoren: Annette von Droste-Hülshoff
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Junge? Wie heißt er?" - Friedrich antwortete ebenso leise: "Das ist des Ohms Simon Schweinehirt, der eine Botschaft an den Hülsmey-
    er hat. Der Ohm hat mir ein paar Schuhe und eine Weste von Drillich gegeben, die hat mir der
    Junge unterwegs getragen; dafür hab ich ihm meine Violine versprochen; er ist ja doch ein
    armes Kind; Johannes heißt er." - "Nun?" sagte Margreth. - "Was willst du, Mutter?" - "Wie heißt er weiter?" - "Ja -weiter nicht - oder warte - doch: Niemand, Johannes Niemand heißt er.
    - Er hat keinen Vater", fügte er leiser hinzu.
    Margreth stand auf und ging in die Kammer. Nach einer Weile kam sie heraus mit einem har-
    ten, finsteren Ausdruck in den Mienen. "So, Friedrich", sagte sie, "laß den Jungen gehen, daß
    er seine Bestellung machen kann. - Junge, was liegst du da in der Asche? Hast du zu Hause
    nichts zu tun?" - Der Knabe raffte sich mit der Miene eines Verfolgten so eilfertig auf, daß ihm
    alle Glieder im Wege standen und die Holschenvioline bei einem Haar ins Feuer gefallen wäre.
    - "Warte, Johannes", sagte Friedrich stolz, "ich will dir mein halbes Butterbrot geben, es ist mir

    Literatur Online: Kunstguerilla for Freewarez am: 11.10.2000
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    Annette von Droste-Hülshoff (1779-1848)
    Die Judenbuche

    doch zu groß, die Mutter schneidet allemal übers ganze Brot." - "Laß doch," sagte Margreth,
    "er geht ja nach Hause." - "Ja, aber er bekommt nichts mehr; Ohm Simon ißt um 7 Uhr." Mar-
    greth wandte sich zu dem Knaben: "Hebt man dir nichts auf? Sprich: wer sorgt für dich?" -
    "Niemand", stotterte das Kind. - "Niemand?" wiederholte sie; "da nimm, nimm!" fügte sie heftig hinzu; "du heißt Niemand, und niemand sorgt für dich! Das sei Gott geklagt! Und nun mach
    dich fort! Friedrich, geh nicht mit ihm, hörst du, geht nicht zusammen durchs Dorf." - "Ich will
    ja nur Holz holen aus dem Schuppen", antwortete Friedrich. - Als beide Knaben fort waren,
    warf sich Margreth auf einen Stuhl und schlug die Hände mit dem Ausdruck des tiefsten Jam-
    mers zusammen. Ihr Gesicht war bleich wie ein Tuch. "Ein falscher Eid, ein falscher Eid!"
    stöhnte sie. "Simon, Simon, wie willst du vor Gott bestehen!"
    So saß sie eine Weile, starr mit geklemmten Lippen, wie in völliger Geistesabwesenheit. Fried-
    rich stand vor ihr und hatte sie schon zweimal angeredet. "Was ist? Was willst du?" rief sie
    auffahrend. - "Ich bringe Euch Geld", sagte er, mehr erstaunt als erschreckt. - "Geld? Wo?" Sie regte sich, und die kleine Münze fiel klingend auf den Boden. Friedrich hob sie auf. - "Geld vom
    Ohm Simon, weil ich ihm habe arbeiten helfen. Ich kann nun selber was verdienen." - "Geld
    vom Simon? Wirfs fort, fort! - Nein, gibs den Armen. Doch nein, behalts", flüsterte sie kaum
    hörbar, "wir sind selber arm; wer weiß, ob wir bei dem Betteln vorbeikommen!" - "Ich soll
    Montag wieder zum Ohm und ihm bei der Einsaat helfen." - "Du sollst wieder zu ihm? Nein,
    nein, nimmermehr!" - Sie umfaßte ihr Kind mit Heftigkeit. - "Doch", fügte sie hinzu, und ein
    Tränenstrom stürzte ihr plötzlich über die eingefallenen Wangen, "geh, er ist mein einziger
    Bruder, und die Verleumdung ist zu groß! Aber halt Gott vor Augen und vergiß das tägliche
    Gebet nicht!"
    Margreth legte das Gesicht an die Mauer und weinte laut. Sie hatte manche harte Last getra-
    gen, ihres Mannes üble Behandlung, noch schwerer seinen Tod, und es war eine bittere Stun-
    de, als die Witwe das letzte Stück Ackerland einem Gläubiger zur Nutznießung überlassen
    mußte und der Pflug vor ihrem Hause stillestand. Aber so war ihr nie zumute gewesen; den-
    noch, nachdem sie einen Abend durchgeweint, eine Nacht durchgewacht hatte, war sie dahin
    gekommen, zu denken, ihr Bruder Simon könne so gottlos nicht sein, der Knabe gehöre gewiß
    nicht ihm, Ähnlichkeiten wollen nichts beweisen. Hatte sie doch selbst vor vierzig Jahren ein
    Schwesterchen verloren, das genau dem fremden Hechelkrämer glich. Was glaubt man nicht
    gern, wenn man so wenig hat und durch Unglauben dies wenige verlieren soll!

    Von dieser Zeit an war Friedrich selten mehr zu Hause. Simon schien alle wärmeren Gefühle,
    deren er fähig war, dem Schwestersohn zugewendet zu haben; wenigstens vermißte er ihn
    sehr und ließ nicht nach mit Botschaften, wenn ein häusliches Geschäft ihn auf einige Zeit bei
    der Mutter hielt. Der Knabe war seitdem wie verwandelt, das träumerische Wesen gänzlich von
    ihm gewichen, er trat fest auf, fing an sein Äußeres zu beachten und bald
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