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Die Judenbuche

Die Judenbuche

Titel: Die Judenbuche
Autoren: Annette von Droste-Hülshoff
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Umstehenden, daß der Vater von Ohm
    Franz Semmler und dem Hülsmeyer tot im Holze gefunden sei und jetzt in der Küche liege.

    Literatur Online: Kunstguerilla for Freewarez am: 11.10.2000
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    Annette von Droste-Hülshoff (1779-1848)
    Die Judenbuche

    Sobald Margreth wieder zur Besinnung kam, suchte sie die fremden Leute loszuwerden. Der
    Bruder blieb bei ihr, und Friedrich, dem bei strenger Strafe im Bett zu bleiben geboten war,
    hörte die ganze Nacht hindurch das Feuer in der Küche knistern und ein Geräusch wie von Hin-
    und Herrutschen und Bürsten. Gesprochen ward wenig und leise, aber zuweilen drangen Seuf-
    zer herüber, die dem Knaben, so jung er war, durch Mark und Bein gingen. Einmal verstand er,
    das der Oheim sagte: "Margreth, zieh dir das nicht zu Gemüt; wir wollen jeder drei Messen
    lesen lassen, und um Ostern gehen wir zusammen eine Bittfahrt zur Mutter Gottes von Werl."
    Als nach zwei Tagen die Leiche fortgetragen wurde, saß Margreth am Herde, das Gesicht mit
    der Schürze verhüllend. Nach einigen Minuten, als alles still geworden war, sagte sie in sich
    hinein: "Zehn Jahre, zehn Kreuze! Wir haben sie doch zusammen getragen, und jetzt bin ich
    allein!" Dann lauter: "Fritzchen, komm her!" - Friedrich kam scheu heran; die Mutter war ihm
    unheimlich geworden mit den schwarzen Bändern und den verstörten Zügen. "Fritzchen", sag-
    te sie, "willst du auch fromm sein, daß ich Freude an dir habe, oder willst du unartig sein und
    lügen, oder saufen und stehlen?" - "Mutter, Hülsmeyer stiehlt." - "Hülsmeyer? Gott bewahre!
    Soll ich dir auf den Rücken kommen? Wer sagt dir so schlechtes Zeug?" - "Er hat neulich mit
    Aaron geprügelt und ihm sechs Groschen genommen." - "Hat er dem Aaron Geld genommen,
    so hat ihn der verfluchte Jude gewiß zuvor darum betrogen. Hülsmeyer ist ein ordentlicher
    angesehener Mann, und die Juden sind alle Schelme." - "Aber, Mutter, Brandis sagt auch, daß
    er Holz und Rehe stiehlt." - "Kind, Brandis ist ein Förster." - "Mutter, lügen Förster?"
    Margreth schwieg eine Weile, dann sagte sie: "Höre, Fritz, das Holz läßt unser Herrgott frei
    wachsen, und das Wild wechselt aus eines Herren Lande in das andere; die können niemand
    angehören. Doch das verstehst du noch nicht; jetzt geh in den Schuppen und hole mir Reisig."
    Friedrich hatte seinen Vater auf dem Stroh gesehen, wo er, wie man sagt, blau und fürchter-
    lich ausgesehen haben soll. Aber davon erzählte er nie und schien ungern daran zu denken.
    Überhaupt hatte die Erinnerung an seinen Vater eine mit Grausen gemischte Zärtlichkeit in ihm
    zurückgelassen, wie denn nichts so fesselt wie die Liebe und Sorgfalt eines Wesens, das gegen
    alles verhärtet scheint, und bei Friedrich wuchs dieses Gefühl mit den Jahren durch das Gefühl
    mancher Zurücksetzung von seiten anderer. Es war ihm äußerst empfindlich, wenn, solange er
    Kind war, jemand des Verstorbenen nicht allzu löblich gedachte; ein Kummer, den ihm das
    Zartgefühl der Nachbarn nicht ersparte. Es ist gewöhnlich in jenen Gegenden, den Verunglück-
    ten die Ruhe im Grabe abzusprechen. Der alte Mergel war das Gespenst des Brederholzes ge-
    worden; einen Betrunkenen führte er als Irrlicht bei einem Haar in den Zellerkolk; die Hirten-
    knaben, wenn sie nachts bei ihren Feuern kauerten und die Eulen in den Gründen schrieen,
    hörten zuweilen in abgebrochenen Tönen ganz deutlich dazwischen sein "Hör mal an, feins
    Liseken", und ein unprivilegierter Holzhauer, unter der breiten Eiche eingeschlafen und dem es
    darüber Nacht geworden war, hatte beim Erwachen sein geschwollenes Gesicht durch die
    Zweige lauschen sehen. Friedrich mußte von den anderen Knaben vieles darüber hören; dann
    heulte er, schlug um sich, stach auch einmal mit seinem Messerchen und wurde bei dieser Ge-
    legenheit jämmerlich verprügelt. Seitdem trieb er seiner Mutter Kühe allein an das andere En-
    de des Tales, wo man ihn oft stundenlang in derselben Stellung im Grase liegen und den Thy-
    mian aus dem Boden rupfen sah.

    war zwölf Jahre alt, als seine Mutter einen Besuch von ihrem jüngeren Bruder erhielt, der in
    Brede wohnte und seit der törichten Heirat seiner Schwester ihre Schwelle nicht mehr betreten
    hatte. Simon Semmler war ein kleiner, unruhiger, magerer Mann mit vor dem Kopf liegenden
    Fischaugen und überhaupt einem Gesicht wie ein Hecht, ein unheimlicher Geselle, bei dem
    dicktuende Verschlossenheit oft mit ebenso gesuchter Treuherzigkeit wechselte, der gern
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