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Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)

Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)

Titel: Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
Autoren: Scott McBain
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alttestamentarischen Frauen, in dem die Bilder an den Wänden das Thema widerspiegelten. Vor sich sah Gabriele Ruth, schlafend zu Füßen von Boas, dann Abigail, die zur Zusammenkunft mit David aufbrach. Die Gemälde wirkten frisch, lebendig, so als würden einem die Gestalten entgegenspringen. Es waren wirkliche Menschen, die er betrachtete, Menschen, verankert in ihrer Zeit. Er musste nur die Hand nach ihnen ausstrecken und sie berühren.
    Wie benommen betrat Gabriele den angrenzenden kleinen Raum – das Tobias-Zimmer. Als er das Bild sah, liefen ihm Tränen über die Wangen. Keine Frage, dort stand ein junger Mann – Tobias? Er hielt seine jugendliche Hand ausgestreckt, die Finger berührten die Augen seines Vaters, um dessen Augenlicht wiederherzustellen. Das Bild wandelte sich. Gabriele sah den Ausdruck des Erstaunens in den Gesichtszügen des alten Mannes, dann seine überwältigende Freude, als er das Gesicht seines Sohnes wieder vor sich sah. In diesem Augenblick stiegen im Herzen des Priesters Intuitionen auf. Es kam ihm alles so offensichtlich vor. Das Leben war wirklich eine Reise – als würde man durch Räume schreiten – durch menschliche und dann spirituelle Zustände. In einem dieser Zustände würde seine spirituelle Einsicht wiederhergestellt werden. Tobias, seine spirituelle Inkarnation, würde seiner physischen wieder die Sehkraft verleihen. Na bitte! Das Kind war tatsächlich der Vater des Menschen. Soll heißen: Der Geist entsprang dem menschlichen Körper, in dem er verborgen war, doch der Geist war bedeutender als der Körper. Und Pater Gabriele? In wessen Antlitz würde er eines Tages blicken? Es würde jemand sein, den er einst gekannt hatte – jemand, der er
einst
gewesen war. Aus seinem körperlichen Sein würde sein spirituelles Sein erscheinen. Und aus seinem spirituellen Sein würde …
    »Passt auf! Bleibt auf dem Weg!«, flüsterte der Papst neben ihm. Gefangen in seinem Traum, wandte sich Gabriele um, um dem Papst zu folgen. Ihm fiel ein, dass es im dritten Stock des Turms der Winde einen Balkon gab, der vom Belvedere-Hof aus zu sehen war. In seiner jetzigen Verwirrung konnte er sich jedoch nicht vorstellen, wo der Balkon sich befand. Er folgte der weiß gekleideten Gestalt vor ihm wie ein Blinder und trat über die Türschwelle ins Freie. Unmittelbar darauf kehrte die Realität zurück, und eine kalte Brise strich über Gabrieles Wangen. Rom bot sich seinen Blicken dar. Welch schöner Anblick! Er hatte die Stadt noch nie von diesem Punkt aus gesehen. Unwillkürlich trat er einen Schritt vor und spürte unter seinen Fingern den glatten Marmor der Balkonbrüstung. Wie lange er so dastand und diese Aussicht unter den Sternen auf sich wirken ließ, konnte er nicht sagen, denn die Zeit schien stillzustehen. Wie lange würde er noch auf dieser Welt sein?
    »Hier drüben, Präfekt.«
    Einer der Kardinäle zog ihn von der Balkonbrüstung fort; die Gruppe nahm auf zwei Steinbänken Platz. Johannes  XXVI . setzte sich auf eine andere Bank, so dass er ihnen gegenübersaß. Pater Gabriele sah seine Gefährten kaum, da sie ihre Taschenlampen ausgeschaltet hatten – ob bewusst oder nicht, er wusste es nicht. Seine Angst war jedoch verschwunden. Stattdessen hatte er das Gefühl, als wäre er – wie ein Jünger – aus einem besonderen Grund an diesen geheimen Ort gebracht worden. Er sollte nicht enttäuscht werden, denn der Papst brach das Schweigen.
    »Was ich euch nun gleich erzähle, dürft ihr niemandem gegenüber erwähnen. Es geht um eines der großen Geheimnisse der Kirche. Ich muss euch die Geschichte von den Silberlingen des Judas erzählen.«
    Einige hielten den Atem an. Es stimmte also! Die Legende, von der im Vatikan manchmal gemunkelt wurde, war real. Johannes  XXVI . blickte zur Kuppel des Petersdoms empor, als suche er nach Inspiration.
    »Die Bibel berichtet, dass unser Herr von Judas verraten wurde, gegen die Zahlung von dreißig Silberlingen – dem Preis für einen Sklaven. Die Geschichte hat eine mystische Bedeutung. Die Münzen symbolisieren die Natur und das Ausmaß des Bösen auf Erden, den Preis, der bezahlt werden muss, um die Welt vom Bösen zu befreien. Denn das Böse ist keine menschliche Kraft, sondern eine spirituelle; sie gelangte in die Sphäre des Menschen infolge seiner Fähigkeit zur freien Entscheidung. Jedoch ist das Böse nicht grenzenlos, obwohl es oft so erscheinen mag. Das Böse ist hinsichtlich Ausmaß und Zeit begrenzt. Das heißt,
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