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Die irische Signora

Die irische Signora

Titel: Die irische Signora
Autoren: Maeve Binchy
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Sonntag einen Zug nach Süden genommen und waren auf den Bray Head gestiegen, von wo aus sie in die benachbarte Grafschaft Wicklow hinüberschauen konnten. An anderen Sonntagen waren sie nach Norden in die Küstenorte Rush, Lusk und Skerries gefahren, kleine Dörfer, jedes mit einem eigenen Charakter, die alle an der Straße nach Nordirland lagen. Sogar Tagesausflüge nach Belfast hatten sie unternommen, damit die Kinder nicht in völliger Unkenntnis über diesen anderen Landesteil aufwuchsen.
    Selten war er so glücklich gewesen wie in jenen Tagen, an denen er gleichzeitig Lehrer und Vater, Fremdenführer und Unterhalter sein konnte. Daddy wußte auf alles eine Antwort: Wo der Bus nach Carrickfergus Castle abfuhr, wie man zum Ulster Folk Museum gelangte, wo man vor der Heimfahrt noch eine ordentliche Portion Pommes frites bekam.
    Aidan erinnerte sich, daß im Zug einmal eine Frau zu Grania und Brigid gesagt hatte, sie könnten froh sein, einen Daddy zu haben, der ihnen soviel beibrachte. Andächtig hatten die beiden genickt, und Nell hatte Aidan zugeflüstert, die Frau habe es offenbar auf ihn abgesehen, aber das werde sie zu verhindern wissen. Da war Aidan sich sehr groß und wichtig vorgekommen.
    Jetzt fühlte er sich sonntags zu Hause kaum beachtet.
    Im Gegensatz zu vielen anderen Familien hatten sie nie viel vom traditionellen sonntäglichen Mittagessen gehalten, von Rinder- oder Lammbraten oder Huhn mit üppigen Kartoffel- und Gemüsebeilagen. Wegen ihrer vielen Ausflüge und Unternehmungen war der Sonntag bei ihnen nie nach einem festen Schema abgelaufen. Aber nun sehnte sich Aidan nach einer gewissen Regelmäßigkeit. Er besuchte die Messe, und manchmal begleitete ihn Nell, doch danach traf sie sich meist mit einer ihrer Schwestern oder Arbeitskolleginnen. Und da die Geschäfte inzwischen ja auch sonntags geöffnet hatten, konnte sie dort ebenfalls herumbummeln.
    Die Mädchen gingen nie zum Gottesdienst. Es war sinnlos, sie dazu bewegen zu wollen. Als sie siebzehn waren, hatte Aidan es aufgegeben. Gewöhnlich blieben sie bis mittags im Bett liegen und machten sich dann belegte Brote. Den Rest des Tages schauten sie sich die Videoaufzeichnungen der vergangenen Woche an, lümmelten in ihren Morgenmänteln herum, wuschen sich die Haare und ihre Kleider, telefonierten mit Freunden oder luden sie zum Kaffee ein.
    Sie benahmen sich, als würden sie in einer Wohngemeinschaft leben, wobei sie ihre Mutter wie eine liebenswerte, schrullige Vermieterin behandelten, über deren Launen man hinwegsehen mußte. Grania und Brigid zahlten nur einen geringen Betrag für Kost und Logis, und dann auch noch mit einer Miene, als würde man ihnen den letzten Penny abknöpfen. Und soweit Aidan wußte, steuerten sie sonst nichts zum Haushalt bei – nicht eine Dose Kekse, eine Packung Eiscreme oder eine Flasche Weichspüler bezahlten sie je aus ihrer eigenen Tasche. Aber wehe, es fehlte einmal etwas, dann beschwerten sie sich sofort.
    Aidan fragte sich, wie Tony O’Brien seine Sonntage verbrachte.
    Er wußte mit Sicherheit, daß Tony nicht zur Messe ging. Das hatte er nämlich seinen Schülern zu verstehen gegeben, als sie ihn gefragt hatten: »Sir, gehen Sie sonntags zum Gottesdienst?«
    »Manchmal, wenn ich zu einem Zwiegespräch mit Gott aufgelegt bin«, hatte Tony O’Brien erwidert.
    Aidan wußte es, denn seine Schüler und Schülerinnen hatten es ihm schadenfroh unter die Nase gerieben und als Argument gegen jene angeführt, die behaupteten, es sei eine Todsünde, nicht am Gottesdienst teilzunehmen.
    Das hatte er ziemlich schlau angestellt; zu schlau für Aidans Geschmack. Tony leugnete nicht die Existenz Gottes, sondern stellte es so hin, als sei er mit Gott befreundet, und Freunde kommen eben nur zum Plaudern vorbei, wenn sie Lust dazu haben. Dadurch entstand der Eindruck, Tony O’Brien habe besonders gute Beziehungen zu Gott, während Aidan Dunne nicht zum engeren Freundeskreis des Allmächtigen gehörte, nur eine Randfigur, ein Mitläufer war. Dies war einer der vielen Punkte, die er so ärgerlich und ungerecht fand.
    Vermutlich stand Tony O’Brien am Sonntag spät auf … er lebte in einem sogenannten »Stadthaus«, was im Grunde nichts anderes als eine Wohnung war: ein großes Zimmer und eine Küche im Erdgeschoß, im ersten Stock ein großes Schlafzimmer und das Badezimmer. Vor der Wohnungstür lag gleich die Straße. Und wenn er morgens das Haus verließ, sah man ihn oft in Begleitung junger Frauen.
    In früheren
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