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Die irische Signora

Die irische Signora

Titel: Die irische Signora
Autoren: Maeve Binchy
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damit sie sich möglichst effektiv vorbereiten konnten. Wie dankbar waren sie ihm damals dafür gewesen! Er wußte noch, wie sie gefeiert hatten, als Grania ihr Abschlußzeugnis und später die Stelle bei der Bank bekommen hatte. Jedesmal waren sie in ein nobles Hotel essen gegangen und hatten sich vom Kellner fotografieren lassen. Genauso hatten sie es auch bei Brigid gehalten, ein großes Essen und Erinnerungsfotos. Auf diesen Bildern sahen sie aus wie eine richtig glückliche Familie. War das alles nur Fassade gewesen?
    In gewisser Weise wohl schon. Denn wie wäre es sonst möglich, daß er jetzt, nur wenige, schnell vergangene Jahre später, sich nicht mit seiner Frau und seinen beiden Kindern – den Menschen, die er mehr als alles andere auf der Welt liebte – zusammensetzen und ihnen von seiner Befürchtung erzählen konnte, vielleicht doch nicht zum Direktor ernannt zu werden?
    Dabei hatte er soviel Zeit investiert, Überstunden gemacht, sich in allen schulischen Belangen engagiert. Trotzdem wußte er tief in seinem Innersten, daß man ihn übergehen würde.
    Womöglich würde ein anderer, beinahe gleichaltriger Mann die Stelle bekommen: Tony O’Brien, einer, der nie länger geblieben war, um die Schulsportmannschaft bei einem Heimspiel anzufeuern, der sich nicht um die Reform des Lehrplans verdient gemacht und auch nicht an der Spendensammlung für das neue Bauvorhaben beteiligt hatte. Tony O’Brien rauchte unverhohlen in den Gängen der Schule, in der eigentlich Rauchverbot herrschte, und ging in einen Pub zum Mittagessen, das, wie er jedem erzählte, aus anderthalb Gläsern Bier und einem Käsesandwich bestand. Ein Junggeselle ohne jeglichen Familiensinn, den man oft mit einem Mädchen im Arm sah, das vielleicht halb so alt war wie er. Und trotzdem galt er als sehr aussichtsreicher Kandidat für das Direktorenamt.
    In den letzten Jahren hatte Aidan sich über vieles gewundert, aber das war ihm nun wirklich unbegreiflich. Nach sämtlichen gängigen Kriterien konnte Tony O’Brien überhaupt nicht für diesen Posten in Frage kommen. Aidan fuhr sich mit der Hand durch das dünner werdende Haar. Tony O’Brien hatte natürlich dichtes, braunes Haar, das ihm in die Augen hing und bis auf den Kragen fiel. Aber die Welt konnte nicht so verdreht sein, daß man bei der Wahl eines Direktors so etwas in Betracht zog, oder doch?
    Dichtes Haar gut, schütteres Haar schlecht … Aidan grinste vor sich hin. Solange er über seine schlimmsten paranoiden Ängste noch lachen konnte, würde sich sein Selbstmitleid in Grenzen halten lassen. Allerdings blieb ihm auch nichts anderes übrig, als im stillen vor sich hin zu lachen. Denn wen gab es, mit dem er zusammen hätte lachen können?
    In einer der Sonntagszeitungen fand Aidan den Psychotest: »Leiden Sie unter nervöser Anspannung?« Wahrheitsgemäß trug er seine Antworten ein und erhielt mehr als 75 Punkte, was, wie er vermutete, ziemlich viel war. Daß sein Fall aber so knapp und vernichtend abgehandelt werden würde, hätte er dann doch nicht gedacht: Wenn Sie mehr als 70 Punkte haben, gehen Sie viel zu verbissen durchs Leben. Lassen Sie mal Dampf ab, sonst platzen Sie noch!
    Sie hatten einander immer gesagt, diese Tests seien im Grunde nicht ernst zu nehmen – reine Seitenfüller. Damit hatten Aidan und Nell sich getröstet, wenn sie bei den Fragen schlechter abgeschnitten hatten als erwartet. Aber jetzt saß er ganz allein davor. Die Zeitungsleute müssen sich eben etwas einfallen lassen, womit sie eine halbe Seite füllen können, versuchte er sich einzureden, sonst gäbe es ja jede Menge weiße Stellen.
    Trotzdem ärgerte sich Aidan über das Ergebnis. Zugegeben, er war ein bißchen nervös. Aber ging er »viel zu verbissen« durchs Leben? Kein Wunder, daß manche Leute Zweifel hatten, ob er als Schulleiter geeignet war.
    Er hatte seine Antworten auf ein separates Blatt geschrieben, damit kein anderes Familienmitglied sie zu Gesicht bekam und das Bekenntnis seiner Ängste und Sorgen, die ihm den Schlaf raubten, las.
    Neuerdings war der Sonntag für ihn der unangenehmste Tag der Woche. Früher, als sie noch eine richtige, eine glückliche Familie gewesen waren, hatten sie im Sommer Picknickausflüge gemacht und bei kühlerem Wetter wohltuende, anregende Spaziergänge. Aidan hatte sich immer damit gebrüstet, daß seine Familie nie so werden würde wie viele andere Dubliner, die nichts außer ihrer Wohngegend kannten.
    Einmal hatten er und seine Familie am
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