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Die Insel des Dr. Moreau

Die Insel des Dr. Moreau

Titel: Die Insel des Dr. Moreau
Autoren: H. G. Wells
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blieb der Kapitän sprachlos, benebelt von seinen alkoholischen Dünsten. »Verdammter Knochensäger!« war alles, was er dazu zu sagen hatte.
    Ich konnte sehen, daß Montgomery von jenem langsamen, hartnäckigen Temperament war, das sich allmählich aufheizt, bis es zur Weißglut kommt und sich nie wieder bis zum Gleichmut abkühlt; und ich sah auch, daß dieser Streit seit einiger Zeit schwelte. »Der Mann ist betrunken«, warf ich ein. »Sie werden nichts ausrichten.«
    Montgomery zog seine hängende Lippe häßlich schief. »Er ist immer betrunken. Meinen Sie, das entschuldigt ihn, wenn er seine Passagiere angreift?«
    »Mein Schiff«, begann der Kapitän, indem er die Hand unsicher gegen die Käfige hob, »war ein sauberes Schiff. Sehen Sie’s jetzt an.« Es war sicherlich alles andere als sauber. »Mannschaft«, fuhr der Kapitän fort, »saubere, ehrbare Mannschaft.«
    »Sie waren bereit, die Tiere mitzunehmen.«
    »Ich wollt’, mir wär’ Ihre höllische Insel nie vor Augen gekommen. Was zum Teufel ... brauchen Sie Tiere für so eine Insel? Und dann Ihr Mann da ... Wohlverstanden, wenn er ’n Mann wär’. Das ist ’n Verrückter. Und er hatte hinten nichts zu suchen. Meinen Sie, das ganze Satansschiff gehört Ihnen?«
    »Ihre Leute begannen den armen Teufel zu quälen, sowie er an Bord kam.«
    »Er ist wirklich ’n Teufel, ’n häßlicher Teufel. Meine Leute können ihn nicht ausstehen. Ich kann ihn nicht ausstehn. Keiner von uns kann ihn ausstehn. Und Sie auch nicht.«
    Montgomery wandte sich ab. »Sie lassen den Mann auf jeden Fall in Frieden«, sagte er und nickte beim Sprechen mit dem Kopf.
    Aber jetzt wollte der Kapitän keine Ruhe geben. Er erhob die Stimme: »Wenn er noch mal auf diesen Teil vom Schiff kommt, kehr’ ich ihm die Gedärme nach außen, das sag’ ich Ihnen. Ich schneid’ ihm seine verdammten Gedärme raus. Für wen halten Sie sich eigentlich, daß Sie mir sagen wollen, was ich tun soll? Ich sag’s Ihnen, ich bin Kapitän auf dem Schiff - Kapitän und Eigentümer. Ich bin das Gesetz hier, das sag’ ich Ihnen - das Gesetz und die Propheten. Ich hab’ mich verpflichtet, einen Mann und seinen Diener nach Arica und wieder zurück zu bringen und noch ein paar Tiere mitzunehmen. Ich hab’ mich nie verpflichtet, einen wildgewordenen Teufel und einen albernen Knochensäger zu transportieren, einen ...«
    Nun, einerlei, wie er Montgomery nannte. Ich sah, daß dieser einen Schritt vorwärts tat, und trat dazwischen. »Er ist betrunken«, sagte ich. Der Kapitän begann noch schlimmer zu schimpfen. »Hören Sie auf«, sagte ich, während ich mich scharf zu ihm wandte, denn ich hatte in Montgomerys Gesicht Gefahr gesehen. Damit lenkte ich den Wortschwall auf mich selber.
    Ich war jedoch froh, etwas zu verhindern, was einer Schlägerei gefährlich nahekam, selbst um den Preis, der betrunkenen Wut des Kapitäns ausgesetzt zu sein. Ich glaube nicht, daß ich je zuvor soviel gemeine Worte in einem so ununterbrochenen Redestrom von den Lippen irgendeines Menschen hatte sich ergießen hören, obgleich ich genügend in exzentrischer Gesellschaft verkehrt hatte. Einiges ertrug ich nur schwer, obgleich ich ein Mann von mildem Temperament bin. Aber auf jeden Fall hatte ich, als ich dem Kapitän Einhalt gebot, vergessen, daß ich nur ein Stück menschlichen Strandguts war, von meinen Hilfsquellen abgeschnitten, mit unbezahlter Passage, nichts als ein Obdachloser, der von der Güte - oder dem spekulativen Unternehmungsgeist des Schiffseigners - abhängig war. Er erinnerte mich mit beträchtlichem Nachdruck daran. Aber trotz allem hatte ich eine Prügelei verhütet.

4
    An Bord des
    Schoners

    An diesem Abend wurde nach Sonnenuntergang Land gesichtet. Montgomery deutete an, es sei sein Ziel. Es war zu fern, als daß man Einzelheiten hätte erkennen können; mir erschien es einfach als ein schmaler Streifen dunklen Blaus auf der undeutlichen blaugrauen See. Eine Rauchsäule stieg fast senkrecht von ihm zum Himmel auf.
    Der Kapitän war nicht an Deck, als das Land gesichtet wurde. Nachdem er seiner Wut gegen mich Luft gemacht hatte, war er hinuntergetaumelt, und es hieß, er habe sich auf dem Boden seiner Kabine schlafen gelegt. Der Maat übernahm das Kommando. Es war der hagere, schweigsame Mensch, den wir am Steuerrad gesehen hatten. Offenbar war auch er auf Montgomery schlecht zu sprechen. Er nahm nicht die geringste Notiz von uns beiden. Wir saßen nach ein paar vergeblichen Anläufen zu einem
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