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Die Insel des Dr. Moreau

Die Insel des Dr. Moreau

Titel: Die Insel des Dr. Moreau
Autoren: H. G. Wells
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alles verbaut, eh’ ich einundzwanzig war. Ich kann mir denken, jetzt ist alles anders ... Aber ich muß mal nach dem Esel von Koch sehen, was er mit Ihrem Hammelfleisch macht!«
    Das Knurren oben begann so plötzlich und mit so wilder Wut von neuem, daß es mich erschreckte. »Was ist das?« rief ich ihm nach, aber die Tür hatte sich geschlossen. Er kam mit dem gekochten Hammelfleisch zurück, und ich war von dem appetitlichen Duft so erregt, daß ich den Lärm des Tieres bald vergaß.
    Nach einem Tag abwechselnden Schlafens und Essens war ich so weit erholt, daß ich aus meiner Koje steigen, an das Bullauge treten und die grünen Wellen sehen konnte, die mit uns Schritt zu halten versuchten. Montgomery - so hieß der flachshaarige Mann - kam wieder herein, als ich dort stand, und ich bat ihn um Kleider. Er lieh mir ein paar Segeltuchsachen von sich, denn die, die ich im Boot getragen hatte, sagte er, waren über Bord geworfen worden. Sie saßen mir ziemlich lose, denn er war breit gebaut und langgliedrig.
    Er gab mir zu verstehen, der Kapitän liege fast volltrunken in seiner Kabine. Als ich die Kleider annahm, begann ich ihn über das Ziel des Schiffes zu befragen. Das Schiff solle nach Hawaii fahren, müsse ihn aber erst an Land bringen.
    »Wo?« fragte ich.
    »Auf einer Insel ... Ich lebe da. Soweit ich weiß, hat sie keinen Namen.«
    Er starrte mich mit hängender Unterlippe an und sah plötzlich so eigensinnig und abweisend aus, daß mir schien, er wolle meinen Fragen ausweichen. Ich war so diskret und fragte nicht weiter.

3
    Das unheimliche
    Gesicht

    Wir verließen die Kabine. An der Kajütstreppe stießen wir auf einen Mann, der uns den Weg versperrte. Er stand, den Rücken gegen uns gekehrt, auf der Schiffsleiter und spähte über die Scherstöcke der Luke. Es war ein mißgestalteter, kurzer, breiter, plumper Kerl mit einem Buckel, behaartem Nacken und zwischen die Schultern gesunkenem Kopf. Er war in dunkelblaue Serge gekleidet und hatte merkwürdig dickes, grobes, schwarzes Haar. Ich hörte die unsichtbaren Hunde wütend knurren, und alsbald duckte er sich und stieß gegen die Hand, die ich ausgestreckt hatte, um ihn abzuwehren. Er drehte sich mit tierischer Behendigkeit um.
    Auf irgendeine unbestimmte Weise widerte mich dieses Gesicht zutiefst an. Es war seltsam entstellt, sprang vor und erinnerte dunkel an eine Schnauze; der große, halboffene Mund zeigte so starke weiße Zähne, wie ich sie noch nie in einem menschlichen Munde gesehen hatte. Die Augen waren an den Rändern blutunterlaufen, und kaum ein Streif Weiß blieb um die nußbraunen Pupillen. Eine seltsame Glut und Aufregung spiegelte sich in diesem Gesicht.
    »Zum Henker!« sagte Montgomery. »Warum gehst du nicht aus dem Wege?« Der Mann mit dem schwarzen Gesicht sprang ohne ein Wort zur Seite.
    Ich stieg weiter hinauf und starrte ihn dabei instinktiv an. Montgomery blieb einen Moment am Fuß der Treppe stehen. »Du weißt, du hast hier nichts zu suchen«, sagte er bedächtig. »Dein Platz ist vorn.«
    Der Mann mit dem schwarzen Gesicht kauerte nieder. »Sie ... wollen mich vorn nicht haben.« Er sprach langsam, mit einem wunderlichen, heiseren Klang in der Stimme.
    »So, sie wollen dich vorn nicht haben!« sagte Montgomery mit drohender Stimme. »Aber ich sage dir, du gehst!« Er war nahe daran, noch etwas hinzuzufügen, blickte aber plötzlich zu mir auf und folgte mir die Leiter hinauf. Ich hatte still gestanden und blickte zurück, noch immer maßlos über die groteske Häßlichkeit dieses schwarzgesichtigen Geschöpfes erstaunt. Ich hatte nie zuvor ein so abstoßendes und fremdartiges Gesicht gesehen, und dennoch - so widersprüchlich es klingt - hatte ich zur gleichen Zeit die merkwürdige Empfindung, als sei ich irgendwie doch schon genau den Zügen und Gebärden begegnet, die mich jetzt entsetzten. Später fiel mir ein, daß ich das Geschöpf wahrscheinlich gesehen hatte, als ich an Bord gehoben wurde, doch befriedigte das meinen Argwohn, es schon früher irgendwo erblickt zu haben, kaum. Aber wie man ein so eigentümliches Gesicht vor Augen gehabt und vergessen haben kann, wann und wo das war, das ging über meine Vorstellungskraft.
    Die Bewegung, die Montgomery machte, um mir zu folgen, lenkte meine Aufmerksamkeit ab, und ich wandte mich und sah mich auf dem glatten Deck des kleinen Schoners um.
    Ich war durch die Töne, die ich gehört hatte, schon halb auf den Anblick, der sich mir bot, vorbereitet. Trotzdem hatte ich noch nie
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