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Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion
Autoren: Dan Simmons
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Frankensteinmonster-Syndrom. Angst vor allem in Menschengestalt, das nicht ganz menschlich ist. Ich glaube, das ist der wahre Grund dafür, daß Androiden gesetzlich verboten wurden.«
    »Hm-hmm«, stimmte Hunt zu. »Aber Cybrids sind völlig menschlich, oder nicht?«
    »Genetisch gesehen ja«, sagte ich. Ich mußte an meine Mutter denken, an die Zeit, als ich ihr während ihrer Krankheit vorgelesen hatte. Ich dachte an meinen Bruder Tom. »Aber sie sind auch Teil des Core«, sagte ich, »und damit gilt für sie die Beschreibung ›nicht ganz menschlich.‹«
    »Sind Sie Teil des Core?« fragte Meina Gladstone und drehte sich ganz zu mir um. Ich fing eine neue Skizze an.
    »Eigentlich nicht«, sagte ich. »Aber ich kann mich ungehindert in den Regionen bewegen, zu denen sie mir Zugang gestatten, aber das ist mehr, als würde jemand sich in die Datensphäre einklinken, als es der wahren Fähigkeit einer Core-Persönlichkeit entspricht.« Im Dreiviertelprofil war ihr Gesicht interessanter gewesen, aber die Augen waren frontal noch fesselnder. Ich arbeitete am Netz der Fältchen, die von den Augenwinkeln ausgingen. Meina Gladstone hatte offenbar nie Poulsen-Behandlungen bekommen.
    »Wenn es möglich wäre, Geheimnisse vor dem Core zu bewahren«, sagte Gladstone, »wäre es Narretei, Ihnen freien Zutritt zum Regierungsgebäude zu gewähren. Aber so ...« Sie ließ die Hände sinken und richtete sich auf. Ich schlug ein neues Blatt auf.
    »Aber so«, sagte Gladstone, »besitzen Sie Informationen, die ich brauche. Stimmt es, daß Sie die Gedanken Ihres Gegenstücks lesen können, der ersten wiedererweckten Persönlichkeit?«
    »Nein«, sagte ich. Es war schwer, das komplizierte Zusammenwirken von Linien und Muskeln an ihren Mundwinkeln zu treffen. Ich gab mein Bemühen auf, es zu bewerkstelligen, wandte mich dem kräftigen Kinn zu und schraffierte die Stelle unter der Unterlippe.
    Hunt runzelte die Stirn und sah die Präsidentin an. M. Gladstone preßte wieder die Fingerspitzen zusammen. »Erklären Sie mir das«, sagte sie.
    Ich sah von der Zeichnung auf. »Ich träume«, sagte ich. »Die Geschehnisse in diesen Träumen entsprechen offenbar den Ereignissen, die sich in der Umgebung der Person abspielen, die das Implantat der vorherigen Keats-Persönlichkeit in sich trägt.«
    »Eine Frau namens Brawne Lamia«, sagte Leigh Hunt.
    »Ja.«
    Gladstone nickte. »Demnach ist die ursprüngliche Keats-Persönlichkeit, die wir auf Lusus getötet wähnten, noch am Leben?«
    Ich zögerte. »Sie ... er ist noch bei Bewußtsein«, sagte ich. »Sie wissen, das primäre Persönlichkeitssubstrat wurde wahrscheinlich von dem Cybrid selbst aus dem Core abgezogen und in eine Schrön-Schleife mit Biostecker implantiert, die M. Lamia trägt.«
    »Ja, ja«, sagte Leigh Hunt. »Aber Tatsache ist, Sie stehen in Verbindung mit der Keats-Persönlichkeit, und durch sie mit den Pilgern zum Shrike.«
    Rasche, dunkle Striche bildeten einen dunklen Hintergrund, der der Skizze von Gladstone mehr Tiefe verlieh. »Eigentlich stehe ich nicht mit ihr in Verbindung«, sagte ich. »Ich träume von Hyperion, und Ihre Fatlinesendungen haben ergeben, daß diese Träume den Echtzeitgeschehnissen entsprechen. Ich kann nicht mit der passiven Keats-Persönlichkeit kommunizieren, auch nicht mit ihrem Träger oder den anderen Pilgern.«
    Präsidentin Gladstone blinzelte. »Woher wissen Sie von den Fatlinesendungen?«
    »Der Konsul hat den anderen Pilgern von der Fähigkeit seines Komlogs erzählt, als Relais für den Fatlinesender an Bord seines Schiffes zu fungieren. Er hat es ihnen kurz vor dem Aufbruch ins Tal gesagt.«
    Gladstones Tonfall deutete darauf hin, daß sie jahrelang als Anwältin gearbeitet hatte, bevor sie in die Politik gegangen war. »Und wie haben die anderen auf die Enthüllung des Konsuls reagiert?«
    Ich steckte den Bleistift wieder in die Tasche. »Sie wußten, daß sie einen Spion in ihrer Mitte haben«, sagte ich. »Sie selbst haben es jedem einzelnen gesagt.«
    Gladstone sah ihren Attaché an. Hunts Gesicht war ausdruckslos. »Wenn Sie mit ihnen in Verbindung stehen«, sagte sie, »müssen Sie wissen, daß wir keine Nachricht mehr von ihnen erhalten haben, seit sie das Keep Chronos verlassen haben und zu den Zeitgräbern aufgebrochen sind.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Der Traum heute nacht hat aufgehört, als sie sich gerade dem Tal genähert haben.«
    Meina Gladstone stand auf, ging zum Fenster und hob eine Hand; das Bild wurde schwarz.
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