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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Ausdruck tiefer Bestürzung, als Arri sich schließlich zu ihr umwandte - oder war es Furcht? Sie wusste es nicht. Alles, was sie wusste, war, dass sie ihre Mutter selten zuvor so aufgewühlt erlebt hatte; wenn sie es recht bedachte, eigentlich noch nie.
    »Was wollte er von dir?«, fragte sie.
    »Nichts«, antwortete ihre Mutter. Sie versuchte sich zu einem Lächeln zu zwingen, aber es misslang und geriet zu einem Ausdruck, der ihre Unsicherheit nur noch unterstrich. Dennoch schüttelte sie bekräftigend den Kopf und sagte noch einmal: »Nichts. Jedenfalls nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung, die Arri ebenso wenig überzeugte wie das kläglich misslungene Mienenspiel. »Er ist ein alter Dummkopf, das weißt du doch. Ich glaube, er hat Recht mit dem, was er gesagt hat: Er wird nicht nur allmählich alt, sondern auch sonderbar.«
    Als alten Dummkopf hatte sie ihn schon öfter bezeichnet, und doch war diesmal etwas anders: In Arris Ohren klang das Wort sonderbar ganz eindeutig so, als hätte ihre Mutter in Wahrheit gefährlich gesagt. Sie legte den Kopf auf die Seite und sah ihre Mutter fragend an - und noch etwas Neues geschah, das sie vielleicht nach allem Sonderbaren der letzten Augenblicke am allermeisten verwirrte: Ihre Mutter senkte den Kopf und wich ihrem Blick aus. Das war ganz eindeutig noch niemals geschehen.
    »Warum gibst du ihm nicht einfach, was er von dir will?«, fragte Arri.
    Für einen kurzen Moment las sie nichts als Verwirrung auf dem Gesicht ihrer Mutter, als hätte sie die Worte zwar verstanden, wüsste aber nicht wirklich etwas damit anzufangen. Darauf folgte - ganz kurz, aber Arri sah es trotzdem - ein Ausdruck von Erschrecken, den sie jedoch ebenso schnell niederkämpfte, wie er gekommen war, und der dann einem milden, verstehenden Lächeln Platz machte, das Arri wie ein Faustschlag traf. »Ich fürchte, dass das nicht geht.«
    »Und warum nicht?«, hakte Arri nach, fast schon ein bisschen frech. Das gönnerhafte Lächeln verblieb auf dem Gesicht ihrer Mutter und machte sie noch wütender. »Ich habe nicht alles gehört, aber ich weiß, dass er dich bedroht hat. Er wird dir Ärger machen, wenn du ihm nicht gibst, was er von dir will. Was ist es denn überhaupt?«
    »Keine Sorge«, antwortete ihre Mutter. Sie hatte offensichtlich beschlossen, den letzten Teil von Arris Frage zu überhören.
    »Er wird mir nichts tun. Er weiß genau, dass er das, was er von mir will, dann erst recht nicht bekäme.« Sie machte eine kleine, aber befehlende Geste mit der linken Hand, als Arri Luft holte, um erneut nachzuhaken. »Es ist jetzt gut. Geh zur Kochstelle und setz das Feuer in Gang. Ich werde uns etwas zu essen machen.«
    »Jetzt schon?«, fragte Arri verblüfft. »Soll ich nicht erst noch in den Garten? Ich müsste dringend Unkraut zupfen.«
    »Das Unkraut läuft dir nicht davon. Und außerdem möchte ich nicht, dass du dich heute Abend noch am Waldrand herumtreibst. Die Jäger haben erst gestern wieder Wolfsspuren im Wald gefunden. Gar nicht weit von hier.«
    Als ob Wölfe so dumm wären, sich in die Nähe einer Hütte zu wagen, in der ein ständiges Kommen und Gehen herrschte. So etwas taten Wölfe nicht, die jagten eher verirrten Schafen hinterher. Aber Arri war klug genug, den gereizten Tonfall ihrer Mutter zu bemerken und diesen Gedanken für sich zu behalten. Wenn sie jetzt nicht gehorchte, dann würde es gleich wirklich unangenehm werden, und für einen einzigen Nachmittag, fand Arri, hatte sie schon genug in dieser Hinsicht erlebt. Es fehlte ihr noch, dass sie eine Abreibung bekam, nur weil ihre Mutter ihre schlechte Laune an niemand anderem als an ihrer Tochter auslassen konnte.
    Als Arri immer noch keine Anstalten machte, ihrem Befehl nachzukommen, sondern einfach weiter dastand und sie anstarrte, wedelte ihre Mutter ungeduldig mit der Hand. »Geh endlich. Und beeil dich mit dem Feuermachen.«
    Das war die unwiderruflich letzte Warnung, und nun beeilte sich Arri, fuhr auf der Stelle herum und trat so schnell durch die Türöffnung, dass sie um ein Haar die oberste Stufe verfehlt hätte und sich nur im allerletzten Moment an dem aus Eschenholz gefertigten Geländer festhalten konnte, das die Stiege zierte. Sie selbst hatte Tage damit zugebracht, nicht nur einen besonders gerade gewachsenen Stamm des seltenen Baumes zu suchen, sondern auch seine Rinde abzuschälen und ihn so lange mit feinem Sand und Blättern zu polieren, bis er so hart und
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