Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hexe von Salem

Die Hexe von Salem

Titel: Die Hexe von Salem
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
wohnt?«
    »Gibt es vielleicht noch eine Pension WESTMINSTER?«, fragte ich unsicher.
    Der Kutscher schüttelte den Kopf, schob seinen schwarzen Zylinder in den Nacken und kratzte sich mit der Linken am Schädel. »Nein«, sagte er. »Es gibt ein Hotel gleichen Namens, drüben im Westen, aber sonst …« Er zuckte mit den Achseln und zog eine Grimasse, die mehr als alle Worte aussagte.
    Ich versuchte erneut zu lächeln, aber es gelang mir nicht wirklich. Was das Hotel WESTMINSTER anging – dort war ich schon gewesen, vor drei Tagen, gleich nach meiner Ankunft in London. Ich hatte sogar ein Zimmer dort, obwohl ich mir im Grunde ein so feudales und kostspieliges Etablissement gar nicht leisten konnte.
    Nur Howard, den geheimnisvollen Howard, zu dem mich mein Vater geschickt hatte, hatte ich im WESTMINSTER nicht gefunden. Während der letzten drei Tage hatte ich praktisch nichts anderes getan, als nach ihm gesucht.
    Wenigstens hatte ich es versucht. Aber einen Mann, von dem man nichts als den wahrlich nicht originellen Namen Howard kannte, in einer Millionenstadt wie London finden zu wollen, war ein Unterfangen, das dicht an Wahnsinn grenzte. Ich war nahe daran gewesen aufzugeben, als ich endlich von einem der stets hilfsbereiten Londoner Bobbys erfuhr, dass es außer dem Hotel WESTMINSTER auch noch diese Pension gleichen Namens gab.
    Allerdings hörten die Ähnlichkeiten wirklich mit dem letzten Buchstaben des Namens auf. Die Pension lag in einer Straße, die selbst in den New Yorker Slums, in denen ich vor einem halben Jahr noch gelebt hatte, als schäbig gegolten hätte.
    Von den zwei Dutzend Gaslaternen, die die schmale, kopfsteingepflasterte Straße säumten, brannte nicht einmal ein Viertel. Und das, was ihr trüber Schein aus der Dunkelheit riss, war auch nicht gerade erhebend. Überall lagen Abfälle und Unrat, und die dunklen Umrisse überquellender Abfalltonnen hoben sich schwach gegen die nackten Ziegelsteinmauern der Häuser ab. Die wenigen Fenster, die ich sehen konnte, waren ausnahmslos mit Läden verschlossen oder schlicht und einfach vernagelt, und ab und zu sah man ein rasches Huschen oder hörte ein Quieken und das Trappeln winziger, harter Pfoten. Ratten. Die einzigen Lebewesen, die sich in einer Gegend wie dieser nach Dunkelwerden noch auf die Straße wagten. Selbst hier in der Kutsche roch es bereits durchdringend nach Fäulnis und Abfällen, obwohl wir erst seit wenigen Augenblicken am Straßenrand standen.
    Und was die Pension betraf … erkenntlich war sie nur an einem handgemalten, lieblos angenageltem Schild und einer trüben Gaslampe mit gesprungenem Schirm über der Tür. Auch ihre Fenster waren verschlossen, und nur durch die Ritzen eines Ladens schimmerte Licht.
    »Vielleicht warten Sie einen Moment hier«, sagte ich, während ich die Tür der Kutsche öffnete und ausstieg. »Wenn ich in zehn Minuten nicht zurück bin, können Sie fahren.« Ich griff in die Weste, nahm eine zusammengerollte Fünf-Pfund-Note heraus und hielt sie dem Kutscher hin, aber zu meiner Überraschung schüttelte der Mann nur den Kopf.
    »Tut mir leid, Sir«, sagte er. »Die Fahrt hierher kostet ein Pfund, und sobald Sie dort drinnen sind« – er deutete auf die zerschrammte Tür der Pension – »verschwinden meine alte Beth und ich von hier. Wir sind nämlich nicht lebensmüde, wissen Sie?«
    Ich seufzte enttäuscht, versuchte aber nicht noch einmal, ihn zum Warten zu überreden, sondern reichte ihm schweigend ein Pfund und ging rasch auf das Haus zu. Ich konnte den Mann nur zu gut verstehen. Vor ihm hatten sich drei andere Kutscher glatt geweigert, mich überhaupt hierher zu fahren.
    Trotzdem ertappte ich mich dabei, nervös nach dem Stockdegen zu greifen, den ich unter dem Mantel trug. Ich spürte einfach, dass ich nicht allein auf der Straße war. Immerhin hatte ich lange genug in einer Gegend wie dieser gelebt, um einfach zu wissen, wann ich beobachtet wurde.
    Meine Hände zitterten leicht, als ich anklopfte. Die Schläge hallten dumpf durch das Haus, und ich konnte hören, wie irgendwo im Inneren des Hauses eine Tür aufgestoßen wurde und schlurfende Schritte näher kamen.
    Ich drehte mich halb um und bedeutete dem Kutscher mit Gesten, noch einen Moment zu warten. Der Mann nickte und begann nervös mit seiner Peitsche zu spielen. Auf der anderen Seite der Straße bewegten sich Schatten.
    Die Tür wurde lautstark entriegelt, öffnete sich jedoch nur wenige Zentimeter, ehe sie von einer vorgelegten Kette
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher