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Die Hexe von Freiburg (German Edition)

Die Hexe von Freiburg (German Edition)

Titel: Die Hexe von Freiburg (German Edition)
Autoren: Astrid Fritz
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ihren Vater bedeutete es einen Verlust, den er niemals überwand, doch Catharina war zu klein, um Trauer zu empfinden. Hinzu kam, dass sich Marthe ihrer annahm. Kaum, dass Catharina fünf Jahre alt war, machte sie sich allein auf den Weg zum Gasthof ihrer Tante, wann immer es ihr in den Kopf kam. Für Hieronymus Stadellmen, der tagsüber kaum Zeit für seine Tochter hatte, war es eine Beruhigung, sie in der Obhut seiner Schwester zu wissen.
    Catharina liebte den weiten Weg hinaus zu ihrer Tante, besonders im Frühsommer. Durch die winkligen Gässchen und Gemüsegärten der Predigervorstadt, an der alten Peterskirche vorbei, in der ein Marienbild ihres Vaters hing, erreichte sie die Landstraße, die sich gemächlich durch Felder und Brachland nach Lehen schlängelte, einem kleinen Dorf von Viehzüchtern, Wein- und Obstbauern, auf das die Stadt Freiburg schon seit vielen Jahren ein Auge geworfen hatte. Oder sie nahm, wenn die Dreisam mit ihrem tosenden braunen Strom nicht gerade die Uferwiesen überschwemmt hatte, den schmalen Pfad am Fluss entlang, genoss den Blick auf die Berge, die im Morgenlicht ihre Düsternis verloren, und blickte den Flößern nach, die Tannen- und Fichtenholz vom Schwarzwald herunterbrachten. Sie kannte bald jeden Strauch und jede Wegbiegung und beobachtete gern das Spiel von Sonne und Wolken über der weiten Ebene. Die Stadt kam ihr dann jedes Mal noch schmutziger und düsterer vor. Sie fürchtete sich vor nichts und niemandem, weder vor Unwettern noch vor den Bauern und Händlern, denen sie unterwegs begegnete und die das Mädchen bald beim Namen kannten. Nur eine Stelle gab es, wo sich ihr Schritt verlangsamte und ihr Herz in einer Mischung aus Angst und gespannter Erwartung heftiger zu klopfen begann: das steinerne Kreuz unter der alten Linde.
    Die Leute sagten, dass unter dem Kreuz ein Bischof begraben sei, der vor Jahrhunderten grausam hingemetzelt worden war. Zigmal sei das Kreuz auf den Kirchhof des Nachbardorfes Betzenhausen überführt worden, aber schon in der nächsten Nacht sei es wie auf Geisterbeinen wieder an seinen alten Platz zur Landstraße zurückgewandert. Catharina blieb jedes Mal eine Weile vor dem Bischofskreuz stehen und beobachtete mit leichtem Schaudern, ob es sich nicht bewegte. Einige Male war sie sich fast sicher. Oder waren es die Blätter der Linde, die im Wind rauschten und ihre Schatten auf den verwitterten Stein warfen?
    Marthe Stadellmenin, genannt die Schillerin, hatte vier Kinder, zwei davon in Catharinas Alter. Nachdem ihr Mann vor einigen Jahren an Typhus gestorben war, führte sie den Gasthof in Lehen allein weiter, in der Hoffnung, ihr Ältester würde ihn eines Tages übernehmen. Catharina fühlte sich bei ihrer Tante jederzeit willkommen, sie wurde nicht anders behandelt als Marthes leibliche Kinder, was bedeutete, dass Catharina mit Hand anlegte, wo sie konnte, und sich ansonsten mit ihren Vettern, ihrer Base und den Nachbarskindern herumtrieb.
    Als Kind erschien Catharina das Anwesen ihrer Tante riesig, herrschaftlich wie ein Schloss. Der mit Rheinkiesel gepflasterte Innenhof wurde an zwei Seiten vom Gasthaus begrenzt, an der dritten Seite von Stall und Scheune. Zur Straße hin stand eine mannshohe blendend weiß gekalkte Mauer, die einen im Sommer, wenn die Sonne hoch stand, blinzeln machte. Das Gasthaus selbst, das größte und stattlichste in der Gegend, war ganz aus Stein mit einem Dach aus verschiedenfarbig gebrannten Ziegeln. Alle Räume, selbst die winzigsten Kammern, hatten verglaste Fenster, die bei Sturm und Gewitter mit Holzläden verschlossen werden konnten. Im Frühjahr roch es nach frischem Gras und Blüten, im Spätsommer nach den Früchten des Obstgartens.
    Wie düster und eng hingegen war das Haus ihres Vaters in der Stadt! Eingeklemmt zwischen zwei verwahrlosten Häusern stand es direkt am Gewerbekanal auf der Insel, einem kleinen Handwerkerviertel, wo sich auf engstem Raum Knochen- und Ölmühlen, Gerberhütten und die Schleifereien der Bohrer und Balierer drängten. Die baulichen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte schienen an diesem Viertel spurlos vorübergegangen zu sein. Die Fachwerkhäuschen mit ihren lehmgefüllten Flechtwänden, Schindel- oder Strohdächern stellten eine ständige Brandgefahr dar, und die offenen Herdstellen in den Wohnstuben, die oft der ganzen Familie samt Federvieh als Schlafstätte dienten, taten ihr Übriges. Geflieste Böden, Kachelöfen oder gar Badestuben waren hier unbekannt, statt der teuren
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