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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Helga Glaesener
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gleichzeitig spürte sie einen wilden Funken Triumph.
    Der Mörder donnerte heran. Der Atem des Schimmels streifte Sophies Hals. Der Flüchtling war so frech, die Lippen zu einem Kuss zu formen, als er an ihr vorüber stob. Und schon war er draußen. Die Hufe hämmerten über die Brücke, der Schimmel galoppierte durch die Vorburg der Freiheit entgegen.
    Benommen schaute Sophie die Pferdetreppe hinauf. Das Gesinde, das eben noch im Hof gestanden hatte, rannte auf sie zu, allen voran Dirk, und als Nächste merkwürdigerweise Edith. Ich bin verloren, dachte sie. Marsilius prügelte das Gesinde bei jeder Gelegenheit, ohne Rücksicht auf ihre Gesundheit oder sein eigenes Wohl, das ja von ihrer Arbeitskraft abhing, einfach weil er jähzornig war. Er würde auch seine Ehefrau nicht verschonen, die ihn im Angesicht des gesamten Hausstandes gedemütigt hatte. Er schlägt mich tot, dachte sie.
    Im nächsten Moment sackte sie in sich zusammen. Über ihr stand die weiße Sonne und blendete sie.

   ber dann schlug er sie doch nicht. Gott hatte Erbarmen. Es wurde wie durch ein Wunder alles gut.
    »Wie durch ein Wunder wurde alles gut«, erklärte Sophie fünf Wochen später ihrer Mutter Ursula und ihrer Schwester Christine, die aus Breitenbenden angereist waren, um zu schauen, wie es der Jungvermählten ging, und die nun mit ihr zusammen in der kleinen Stube im Untergeschoss des Palas saßen. Ihre Familie war zum ersten Mal seit der Hochzeit auf der Wildenburg. Die Frauen hatten es sich in der Fensternische auf den Bänken gemütlich gemacht und lauschten angespannt Sophies Bericht über die Schwierigkeiten, die den Beginn ihrer Ehe überschattet hatten.
    Marsilius regt sich leicht auf, man darf ihn nicht reizen, hatte sie ihnen erzählt, und Mutter hatte bekümmert genickt. So waren die Männer. Was war sonst geschehen? Sophie hatte vom Gesinde gesprochen, das viele ihrer Anweisungen ignorierte oder nachlässig ausführte. Auch das war nicht ungewöhnlich, bei Sophies Jugend, musste aber natürlich unverzüglich bestraft werden, damit klar wurde, wer jetzt Herrin im Haus war. Und weiter?
    Sophie hatte gezögert. Sollte sie von dem Mörder berichten, dem sie Fluchthilfe geleistet hatte? Nein, das behielt sie lieber für sich. Ihr schwante, dass Mutter dieses Verhalten unentschuldbar finden würde. Dafür begann sie von Edith zu erzählen, die ihr das Leben schwermachte, die Dienerschaft gegen sie aufhetzte und dafür sorgte, dass Marsilius seine Nächte in ihrem Lotterbett verbrachte.
    »Der Herr möge sie dafür strafen«, regte Ursula sich auf. »Aber nur Geduld, Sophie, am Ende schützt er die Gottesfürchtigen und bringt die Sünder zu Fall.«
    Christine, die neben ihrer Mutter saß, zwinkerte Sophie aufmunternd zu. Sie hielt ihren kleinen Sohn im Arm, Jürgen, einen Schreihals von sechs Monaten mit einem schwarzen Haarflaum, der sich ein Vergnügen daraus machte, von einem Arm zum anderen zu wandern. Im Moment schlief er allerdings, und Ursula, die Kinder über alles liebte, strich sanft mit dem Zeigefinger über den kleinen, rosigen Mund des Enkelsohnes.
    »Das Schlimme ist, dass Marsilius keine Mutter hat, die ihm den Kopf zurechtrückt«, erklärte sie dabei. »Sonst hättest du eine Verbündete in der Burg.« Sie hob den Blick, um ihre Tochter anzusehen. »Aber du kannst zuversichtlich sein. Männer gleichen einander wie Eicheln. Sie naschen an fremden Töpfen, doch sobald sie auf einen Sohn hoffen dürfen, kehren sie in die eigene Küche zurück. Deshalb heiraten sie uns schließlich. Wir erfüllen ihren Herzenswunsch.«
    Und genau darin bestand das Wunder. Sophie war nämlich schwanger geworden. Sie selbst hätte es wahrscheinlich gar nicht so rasch bemerkt. Es kam heraus, als Marsilius sie nach der Flucht des Mörders in die Halle schleppte, um sie zu prügeln, weil sie sich auf dem Hof rumgetrieben und den Flüchtigen nicht aufgehalten hatte. Edith hatte ihm dafür eine Reitpeitsche gereicht, die sie berechnend von draußen mit hineingetragen hatte. Sie hatte ihre Nebenbuhlerin mit einer Grausamkeit angestarrt wie eine Katze, die ein Mäusenest wittert – eine unheimliche, eine entsetzliche Frau. Marsilius hatte Sophie befohlen, das Kleid und ihr Hemd auszuziehen, und als sie nicht schnell genug gehorchte, die Peitsche fortgeworfen und selbst Hand angelegt.
    Und da hatte sie sich auf seine Stiefel übergeben.
    Vielleicht hatte Marsilius der Anblick, wie sie das Essen hervorwürgte, an die Schwangerschaft
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