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Die Herren der Unterwelt 03 - Schwarze Lust

Die Herren der Unterwelt 03 - Schwarze Lust

Titel: Die Herren der Unterwelt 03 - Schwarze Lust
Autoren: Gena Showalter
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verdrängen. Er wusste nur zu gut, wie flüchtig die Zeit war. Ein Jahr fühlte sich für ihn manchmal an wie ein einziger Tag und ein Tag manchmal nur wie eine Minute.
    Und manchmal wiederum kamen ihm Minuten und Tage fast endlos vor. Das war nur einer der vielen Widersprüche, die das Leben eines Herren der Unterwelt ausmachten.
    Spring, forderte Schmerz. Und dann noch einmal, drängender: Spring! Spring!
    „Ich sagte doch bereits, dass ich noch ein paar Sekunden für mich haben will.“
    Abermals blickte Reyes nach unten zum Boden. Zerklüftete Felsen lockten im blutroten Mondlicht, der Wind kräuselte das Wasser in den Pfützen. Nebelschwaden fingerten empor, forderten ihn auf, näher zu kommen, herrlich nahe zu kommen. „Wenn man seinem Feind eine Klinge in den Hals rammt, tötet ihn das, ja“, sagte Reyes zu seinem Dämon. „Aber dann ist es vorbei und erledigt, und du hast weiter nichts mehr damit zu tun.“
    Spring! Diesmal war es ein wütender, ungeduldiger, quengeliger Befehl, wie die trotzige Aufforderung eines Kindes.
    „Gleich.“
    Springspringspringspring!
    Ja, manchmal konnten Dämonen tatsächlich wie nörgelnde Kleinkinder sein. Reyes fuhr sich mit der Hand durch das zerzauste Haar und riss sich dabei einige Strähnen heraus. Er wusste, dass es nur ein Mittel gab, um seine andere Hälfte zum Schweigen zu bringen. Gehorsam. Warum er es jetzt wagte, sich zu widersetzen und den Augenblick auszukosten – er wusste es nicht.
    Spring!
    „Vielleicht wirst du dieses Mal zur Hölle zurückgeschickt“, murmelte er. Man durfte doch wohl wenigstens noch träumen. Schließlich aber breitete er seine Arme aus, schloss die Augen, beugte sich vor …
    „Komm da runter“, hörte er eine Stimme hinter sich.
    Die ungebetene Einmischung ließ Reyes in der Bewegung erstarren. Er riss die Augen auf und brachte seinen Körper wieder ins Gleichgewicht, drehte sich aber nicht um. Er wusste, warum Lucien hier war, und er schämte sich so, dass er seinem Freund nicht ins Gesicht sehen mochte. Zwar konnte Lucien garantiert nachvollziehen, wie sehr Reyes an seinem Dämon litt, aber er würde niemals Verständnis für das haben, was er getan hatte.
    „Genau das ist mein Plan: runterkommen. Geh weg, dann kann ich’s schnell erledigen.“
    „Du weißt, was ich meine.“ Lucien war anzuhören, dass er das Ganze kein bisschen komisch fand. „Ich muss mit dir reden.“
    Plötzlich lag der Duft taufrischer Rosen in der Luft, so üppig und intensiv in der spätwinterlichen Nacht, dass Reyes hätte schwören können, sich mitten auf einer Frühlingswiese zu befinden. Ein Mensch hätte den Duft so hypnotisierend und betörend gefunden, dass er dem Krieger blind und willenlos alle Wünsche erfüllt hätte. Reyes hingegen fand ihn bestenfalls lästig. Nachdem sie nun schon Tausende von Jahren zusammen verbracht hatten, hätte Lucien eigentlich wissen müssen, dass der Duft bei ihm keine Wirkung mehr zeigte.
    „Wir sprechen morgen“, sagte er knapp.
    Spring!
    „Nein, wir reden jetzt. Danach kannst du tun, was du willst.“
    Nachdem Reyes seine jüngste Untat gestanden hätte? Nein, danke. Schuld, Scham und Trauer mochten emotionalen Schmerz mit sich bringen, aber der besänftigte seinen Dämon nicht. Nur körperliche Qualen brachten Erleichterung, was auch der Grund dafür war, dass Reyes so sorgsam über sein emotionales Wohlbefinden wachte.
    Ja, und das hast du wieder großartig hingekriegt!
    Er fuhr sich mit der Zunge über die Zähne, nicht sicher, wer ihm diese kleine sarkastische Botschaft eingeflüstert hatte. Er selbst oder Schmerz. „Ich bin gerade in schlechter Verfassung, Lucien.“
    „Da geht es dir so wie den anderen. Und wie mir.“
    „Du hast wenigstens eine Frau zum Trost.“
    „Und du hast Freunde. Du hast mich.“ Lucien, Träger des Dämons des Todes, hatte die Aufgabe, menschliche Seelen ins Jenseits zu begleiten, egal ob in den Himmel oder in die hinterste Ecke der Hölle. Er war meistens stoisch gelassen. Und er war ihr Führer, derjenige, dem alle Krieger in der Budapester Burg folgten und den sie um Rat fragten. „Sprich mit mir.“
    Reyes verweigerte Lucien das Gespräch nur ungern, redete sich aber ein, dass es für Lucien besser wäre, wenn er nichts von seiner schrecklichen Tat erführe. Doch er brauchte diese Erklärung gar nicht zu Ende zu spinnen, um zu wissen, dass sie nur eine faule Ausrede war – ein beschämender Mangel an Mut. „Lucien“, begann er, hielt aber sogleich inne und
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