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Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler

Titel: Die Henkerstochter und der K�nig der Bettler
Autoren: Oliver P�tzsch
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hüpfte wie ein Derwisch im Kreis und klatschte in die Hände. »Ein Spiel! Ein Spiel!«, rief er. »So wie früher!«
    Philipp Lettner nickte und ließ sich auf dem Boden nieder. Aus seiner Rocktasche holte er zwei knöcherne, abgeschabte Würfel, die ihn schon den ganzen langen Krieg begleiteten. Er warf sie in die Luft und fing sie geschickt wieder auf.
    »Nun,wer macht ein Spielchen mit mir?«, rief er. »Wer? Um das Weib und die Kühe. Lasst sehen, was ihr zu bieten habt.«
    Sie trieben das schwarzhaarige Mädchen wie ein Stück Vieh in die Mitte des Dorfplatzes und ließen sich um sie herum in einem Kreis nieder. Mit einem Schrei der Verzweiflung versuchte die junge Bäuerin zu fliehen, doch Philipp Lettner schlug ihr zweimal ins Gesicht.
    »Kusch, Hure! Oder wir fallen gemeinsam über dich her und schneiden dir die Zitzen ab.«
    Das Mädchen kauerte sich nieder, die Arme um seine Beine geschlungen, den Kopf wie im Mutterleib nah an den Körper gedrückt. Durch eine Wolke von Trauer und Schmerz hörte es wie von fern das Rasseln der Würfel im Becher, das Klirren von Münzen und das Gelächter der Männer.
    Plötzlich stimmten die Söldner ein Lied an, das das Mädchen gut kannte. Früher, als die Mutter noch lebte, war es eines der Lieder gewesen, die sie gemeinsam auf dem Feld sangen. Und später auf dem Sterbebett hatte Mama es ein letztes Mal leise vor sich hin gesummt, kurz bevor sie für immer heimgegangen war. Es war schon immer ein trauriges Lied gewesen. Doch nun, da die Männer es betrunken in den dunklen Abendhimmel grölten, wirkte es auf einmal so fremd und grauenvoll, dass das Mädchen kalte Finger an seiner Kehle zu spüren glaubte. Wie Nebelschleier wehten die Zeilen zu der jungen Bäuerin herüber.
    Es ist ein Schnitter, der heißt Tod. Hat G’walt vom großen Gott. Heut wetzt er das Messer, es schneid’t schon viel besser … Hüt dich, schön’s Blümelein …
    Die Männer lachten, und Philipp Lettner ließ den ledernen Becher kreisen. Einmal, zweimal, dreimal.
    Mit einem leisen Klicken fielen die Würfel in den Sand.

1
    Im Donaudurchbruch hinter Weltenburg,
den 13 . August anno domini 1662 , 25  Jahre später …
    D ie Woge erwischte Jakob Kuisl von vorne und spülte ihn wie ein Stück Treibholz von der Bank.
    Der Henker schlitterte über die rutschigen Balken, griff wild um sich auf der Suche nach irgendeinem Halt, bis er plötzlich spürte, wie seine Füße in die gurgelnden Strudel des Flusses tauchten. Langsam, aber unerbittlich zog ihn sein eigenes Gewicht von fast zwei Zentnern ins kalte Wasser. Seine Fingernägel schabten über die Planken, ganz aus der Nähe konnte er wie durch eine Wand hindurch aufgeregte Schreie vernehmen. Endlich bekam er mit der rechten Hand einen ins Holz geschlagenen Zimmermannsnagel zu fassen. Kuisl hievte sich daran hoch, als ein weiterer Körper an ihm vorbei auf den Fluss zurutschte. Mit seiner freien Hand griff er danach und erwischte einen etwa zehnjährigen Jungen am Kragen, der wild zappelte und nach Luft japste. Der Henker schob ihn zurück in die Mitte des Floßes, wo ein erleichterter Vater den Knaben in die Arme schloss.
    Keuchend kroch Jakob Kuisl hinterher und nahm wieder auf der Bank vorne am Bug Platz. Sein Leinenhemd und der Lederkoller klebten ihm am Oberkörper, Wasser rann über Gesicht, Bart und Augenbrauen. Als er den Blick nach vorne richtete, erkannte er, dass ihnen das Schlimmstenoch bevorstand. Zu ihrer Linken ragte eine gewaltige, bestimmt vierzig Schritt hohe Wand auf, der die Reisenden nun hilflos entgegentrudelten. Hier, in der Weltenburger Enge, war die Donau so schmal wie fast nirgendwo sonst. Ein vor allem bei Hochwasser brodelnder Hexenkessel, der schon so manchen Flößer das Leben gekostet hatte.
    »Bei Gott, festhalten! Haltet’s euch fest, um Himmels willen!«
    Der vordere Steuermann stemmte sich gegen das Ruder, als das Floß in einen weiteren Strudel tauchte. Muskelstränge traten an seinen Armen hervor wie knorrige Wurzeln, doch die lange Stange in seinen Händen bewegte sich keinen Zentimeter. Die schweren Gewitterregen der letzten Tage hatten den Fluss stark anschwellen lassen, so dass die sonst so lauschigen Kiesbänke am Ufer vollkommen verschwunden waren. Äste und entwurzelte Bäume trieben in der weißen Gischt vorüber. Schneller, immer schneller schoss das breite Floß auf die Felswand zu. Jakob Kuisl hörte neben sich ein hässliches Geräusch, als die Fichtenstämme am Kalkstein entlangschrammten.
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