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Die große Flut

Die große Flut

Titel: Die große Flut
Autoren: Madeleine L'Engle
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des Brotes in den Mund und schaute seinem Bruder über die Schulter. »Griechisch«, korrigierte er. »Die üblichen wissenschaftlichen Symbole. Das da sieht aber eher wie Hebräisch aus. Und das da Kyrillisch. Keine Ahnung, wofür er diese Tastatur braucht.«
    Sandy musterte kopfschüttelnd den Steinboden. Vor dem Wasserbecken lag ein kleiner Teppich, ein zweiter vor dem schäbigen Lederfauteuil und der Leselampe. »Ich frage mich immer wieder, wie Mutter es im Winter hier aushält.«
    »Indem sie sich wie ein Eskimo vermummt.« Dennys fröstelte. Er begann mit dem ausgestreckten Zeigefinger zu tippen:
    BRING UNS WOHIN, WO ES HEISS IST.
    »Laß das«, warnte Sandy. »Ich glaube nicht, daß wir mit dem Ding spielen dürfen.«
    »Warum nicht? Glaubst du, gleich kommt der Geist aus der Flasche und nimmt uns mit? So wie der von Aladin mit der Wunderlampe? Das ist nur ein Computer, du Dummkopf. Der macht nur, wofür er programmiert ist.«
    »Was du nicht sagst.« Sandy ließ die Finger über dem Keyboard kreisen. »Manche Leute trauen diesen Dingern allerdings ein heimliches Leben zu. Ich meine: sie halten sie wirklich für eine Art Aladin.« Er ergänzte, was auf dem Monitor stand, mit:
    HEISS UND SPÄRLICH BESIEDELT.
    Dennys schubste ihn zur Seite und tippte:
    UND TROCKEN.
    Sandy wandte sich ab. »Zeit für den Kakao.«
    »Stimmt.« Dennys nahm die rote Blechdose vom Tisch. »Da Mutter den Bunsenbrenner braucht, verziehen wir uns am besten wieder in die Küche.«
    »Okay. Dort ist es wenigstens nicht so kalt.«
    »Und ich kann noch ein Brot vertragen. Bis die drei aus der Stadt kommen und es Abendessen gibt, das dauert endlos.«
    Sie verließen das Labor.
    »Oh!« Sandy zeigte auf einen Zettel, der an die Tür gepinnt war. »Das haben wir vorhin übersehen.«
    Auf dem Blatt stand:
    EXPERIMENT LÄUFT. BITTE NICHT EINTRETEN.
    »Uh. Hoffentlich haben wir nichts durcheinander gebracht. «
    »Jedenfalls sage ich Mutter Bescheid, sobald sie da ist.«
    »Warum ist uns die Warnung entgangen?«
    »Weil wir uns beim Hereinkommen die Backen vollgestopft haben.«
    Dennys ging voran und öffnete die Tür zur Küche. Ein Hitzeschwall drang ihm entgegen. »He, was soll das?« Er wollte zurückweichen, prallte aber gegen Sandy.
    »Feuer!« rief er. »Rasch! Den Feuerlöscher!«
    »Zu spät. Wir müssen raus und…« Dennys hörte, wie hinter ihm die Küchentür zufiel. »Du! Wir müssen da raus!«
    »Ich kann den Feuerlöscher nicht finden!« brüllte Sandy.
    »Wo ist denn die verdammte Wand?« Dennys tastete durch den undurchdringlichen Rauch ins Leere.
    Der Knall beim Durchbrechen der Schallmauer.
    Dann absolute Stille.
    Langsam lösten sich die Rauchschwaden auf. Zerfaserten.
    »He!« Sandys Krächzstimme überschlug sich. »Was war das?«
    Dennys‘ Stimme klang heiser. »Wo, zum Teufel, sind wir? Was ist geschehen?«
    »War das eine Explosion?«
    »Nein! Das darf nicht wahr sein!«
    Sie schauten sich um. Alles fremd. Keine Küchentür. Keine Küche. Kein Kamin mit den Holzscheiten. Kein
    Tisch. Keine blühenden Geranien auf dem Fensterbrett. Keine Decke, von der Pfefferschoten und Knoblauchzehen hängen. Kein Fußboden mit dem bunten Flickenteppich.
    Sie standen auf Sand. Auf brennendheißem weißen Sand. Über ihnen strahlte die Sonne vom Himmel. Von einem Himmel, der so aufgeheizt war, daß er wie flüssige Bronze schimmerte.
    Von Horizont zu Horizont: nur Sand und Himmel.
    »Steht… steht das Haus noch?« Sandys Stimme zitterte.
    »Ich glaube, wir sind gar nicht erst ins Haus gekommen …«
    »Also hat es nicht gebrannt?«
    »Nein. Wir… Wir haben die Tür aufgemacht und… und jetzt sind wir hier.«
    »Und der Rauch?«
    »Und der Knall?«
    »Und Vaters Computer?«
    »Schiet. Was machen wir jetzt?« Dennys war noch im Stimmbruch; seine Stimme hatte sich immer höher geschraubt.
    »Dreh nicht gleich durch«, sagte Sandy, aber es klang wenig überzeugend.
    Sie hielten verzweifelt nach allen Seiten Ausschau. Die Sonne brannte unbarmherzig auf sie nieder. Nach der Kälte, dem Schnee und dem Eis war die plötzliche Hitze ein doppelter Schock. Kleine Glitzerkörner im Sand reflektierten das Licht, daß die Augen schmerzten.
    »Also, was machen wir jetzt?« krächzte Dennys noch einmal.
    Sandy bemühte sich, ruhig zu wirken. »Wir überlegen. Wir gelten schließlich als die beiden in der Familie, die überlegt handeln.«
    »Wie das Beispiel beweist«, sagte Dennys bitter. »Wir haben uns soeben hierher gehandelt.«
    Sandy nickte.
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