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Die Godin

Die Godin

Titel: Die Godin
Autoren: Robert Hueltner
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sich Schicht um Schicht die fetten Quader einer Wolkenwand in maßlose Höhen getürmt. Noch immer schien die Wand zu wachsen, noch immer stand sie nahezu unbewegt wie eine erstarrte Flutwelle.
    Binnen Sekunden platzte das Gebilde. Eigroße Hagelbrocken explodierten auf Pflaster und Dachpfannen, spratzten knallend ab oder durchschlugen die Dächer. Kräftige Laubbäume bogen sich unter den Sturmstößen und brachen ergeben, die Fichten rissen im Fall ihr flaches Wurzelwerk aus dem Erdreich, Scheunen zerlegten sich Brett um Brett oder purzelten wie Würfel über das Feld. Durch die silbrige Schraffur des zur Erde jagenden Eises waberten die Blitze. Das Wettergeläut der Pfarrkirche winselte gegen den Tumult, bis der Orkan unter die zerschlagene Dachhaut des Turmes fuhr, dessen Spitze abriß und Schindeln, Gebälk und Mauerwerk in die Tiefe prasseln ließ. Bedrohlich ächzte das Bundwerk der Stallungen der freistehenden Gehöfte. Die windig gebaute Stallung des Wegmacher-Gütls krachte zusammen und begrub, was darunter lebte.
     
     
    Fast beiläufig hatte sich das Unwetter gelegt. Ohne große Eile war es nach Nordosten gestapft. Der Wind wurde schwächer, dann legte er sich ganz.
    Es war still. Das zerdroschene Land rauchte. Die Luft war kühlfeucht und klar und roch nach Winter. Der Himmel blieb grau, von Westen näherte sich ein sanfter Regen. Bis zum Herbstbeginn sollte er sich nicht mehr verziehen.
    Natürlich hätte man die Leiche des Fuhrknechts Alois Eglinger irgendwann entdeckt. Wenn nicht an diesem Tag, dann am nächsten. Sie wurde so früh gefunden, weil sich der Nauferger beim Kirchbäck darüber beschwert hatte, daß das sich sulzig zersetzende Eis auf der Gasse zwischen beiden Gebäuden begann, den Weinkeller des Gasthauses unter Wasser zu setzen. So schickte der Kirchbäck seinen Lehrling, und dieser war es, dem diese eigenartige, blaßrot emporgestiegene Fläche aufgefallen war und der, nach wenigen Schaufelstichen, den Körper des Fuhrknechtes entdeckte.
    Wachtmeister Sinzinger, den man vom Dach der Ortsgendarmerie holen mußte, wo er die zerschlagenen Dachpfannen inspiziert hatte, begann kurz darauf mit seinen Untersuchungen. Er tat es widerwillig. Irgend etwas sagte ihm, daß diese Angelegenheit unangenehm werden würde, obwohl alles, was ihm aufgeregt mitgeteilt wurde, auf einen Wirtshausstreit mit tragischem Ausgang hindeutete. So etwas kam nicht eben häufig, aber doch hin und wieder vor. Der letzte Mord im Gebiet der Sarzhofener Gendarmerie - eine Magd war im Wolfspeuntner Wald erschlagen und ausgeraubt worden - war lange vor Sinzingers Amtsantritt geschehen, und außer der nie ermittelten Todesursache eines Säuglings in der Nachbargemeinde, den die Mutter, eine unverheiratete und offenbar geistig etwas labile Magd, versehentlich im Schlaf erdrückt hatte, konnte er sich an keinen Fall in dieser Gegend erinnern, der nicht binnen weniger Stunden hatte aufgeklärt werden können.
    Der Wachtmeister überlegte, wie er seinen Bericht beginnen sollte. Er war, nachdem er die Leute mit einem »Wenn er schon tot ist, pressierts eh nicht mehr« zu beruhigen versucht hatte, in die Amtsstube gegangen, hatte dort seinen Rock angezogen, seinen Säbel umgeschnallt, seinen Helm aufgesetzt und sich auf den Weg gemacht.
    Der Schauplatz des Verbrechens, die vom Marktplatz zum Innhang führende Gasse zwischen dem Gasthaus und der Bäckerei, war nur wenige Minuten von der Station entfernt. Nachdem er die Neugierigen zurückgescheucht und sich schnell vergewissert hatte, daß der Fuhrknecht an mehreren Messerstichen in Brust und Hals gestorben sein mußte, wurden die Umstehenden von ihm befragt, ob einer von ihnen etwas berichten könne, das mit diesem Vorfall zusammenhinge. Man schüttelte den Kopf. Außer dem Wirt hatte sich keiner der Anwesenden in der vergangenen Nacht im Gasthaus aufgehalten. Der Nauferger gab zögernd an, daß der Ermordete am Abend zuvor einige Halbe Bier getrunken, die Gaststätte jedoch kurz nach Mitternacht verlassen habe. »Als letzter?«
    »Ja…« Die Erklärungen des Wirts wurden dadurch unterbrochen, daß der Dorfarzt mit offen fliegendem Mantel durch den Eismorast herbeigeeilt kam und sich wortlos der Leiche widmete. Respektvoll wich die Menge zurück.
    Der Wirt fügte noch hinzu, daß der Tote als streitsüchtig gegolten habe und daß es beinahe täglich zu kleineren Auseinandersetzungen, die jedoch schnell wieder beigelegt waren, gekommen sei. Der Doktor unterbrach ihn.
    »Der Mann
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