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Die Glut des Zorns (Billy Bob Holland) (German Edition)

Die Glut des Zorns (Billy Bob Holland) (German Edition)

Titel: Die Glut des Zorns (Billy Bob Holland) (German Edition)
Autoren: James Lee Burke
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verdienen. Ich habe mich selber zu Fall gebracht, aber ich habe auch vielen anderen Menschen Schaden zugefügt.
    Besuchen Sie mich irgendwann in den nächsten Jahrzehnten. Ich werde hier sein.
    Bitte betrachten Sie diesen Brief auch als eine Entschuldigung an Ms. Carrol.
    Ihnen beiden das Beste,
Xavier Girard
    Nachdem die Anklage gegen Doc fallen gelassen worden war, fuhren Temple, Lucas und ich durch den nördlichen Zipfelvon New Mexico nach Texas zurück und machten über Nacht in Clayton Halt, nur ein kurzes Stück von der texanischen Grenze entfernt. Am Ende eines sengend heißen Tages gingen wir von unserem Motel zu einem aus dem neunzehnten Jahrhundert stammenden Hotel namens The Eklund und aßen in einem Speisesaal, dessen Wände mit von Hand geschnitztem Mahagoni getäfelt waren, zu Abend. Das Hotel war ein zweistöckiger Sandsteinbau, mitten ins Ödland gesetzt wie eine Festung wider den Wind, aber die Gästezimmer waren längst vernagelt, die Rezeption und die Fächer für die Post und die Eisenschlüssel dem Staub und den Spinnweben anheim gefallen.
    In dem kleinen Foyer hing ein gerahmtes Foto von dem Outlaw Black Jack Ketchum, der auf einem frisch gezimmerten Schafott stand und gerade die Schlinge um den Hals gelegt bekam. Auf einem weiteren Foto war er zu sehen, nachdem die Falltür unter seinen Füßen aufgeklappt war. Ketchum trug einen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd, und sein Gesicht war in den letzten Augenblicken seines Lebens völlig ausdruckslos, als wäre er eher Augenzeuge eines historischen Ereignisses als ein Beteiligter.
    Die meisten Gäste, die in den Speisesaal gingen oder von dort kamen, waren Einheimische, die keinerlei Notiz von den Fotos nahmen.
    Temple, Lucas und ich gingen hinaus unter den türkisfarbenen Himmel, der sich im Staub allmählich gelb verfärbte. Die Straßen waren verlassen, die Luft war schwül und roch nach Regen und den scharfen Ausdünstungen der Viehhöfe, die aus dem Westen der Stadt hergeweht wurden. Wir kamen an einem Kino vorbei, das Luna hieß, aber die Anschlagtafel war leer, und die dicken Glastüren waren mit einer Kette verhängt. Am Ende der Main Street stand eine lange Reihe Getreidewaggonsauf einem Bahngleis. Nur das Klappern eines Fensterladens und die Musik aus einer Jukebox, die in einer beige-braun verputzten Taverne lief, waren zu hören.
    Nordwestlich von uns war der Raton Pass, ein tief eingeschnittener, von Pinien gesäumter Cañon, der ins Land der Mesas, in die alte Minenstadt Trinidad und zu den Ausläufern der Rocky Mountains führte, wo diejenigen, die frohen Herzens sind, im Urlaub hinfahren, um den amerikanischen Westen wieder zu entdecken. Morgen würden wir die Grenze nach Texas überqueren, durch die Überbleibsel der alten XIT-Ranch fahren und danach durch die weiten Industriegebiete des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Wo eine Stadt aussah wie die andere, wo die petrochemischen Fabriken bei Nacht wie Diamanten funkelten, Sicherheit und Wohlstand boten, und die Einkaufszentren und Multiplex-Kinos alle jene widerlegten, die die Vorzüge früherer Zeiten bestritten.
    Ich warf einen Blick zurück auf den trutzigen Steinbau mit den von schnörkeligem Schmiedeeisen gesäumten Kolonnaden, auf die riesige orange Staubwolke, die sich hinter uns im Sonnenuntergang ballte, und fragte mich, ob in dem Speisesaal des Hotels die Rinder- und Eisenbahnbarone zum Champagnerdiner geladen hatten oder ob sich hier Cowboys, die auf dem Goodnight-Lovin-Trail vorübergezogen waren, im Saloon hochprozentigen Whiskey hinter die Binde gekippt und mit ihren Sechsschüssern Löcher in die Decke geballert hatten. Oder ob die Stadt nie mehr gewesen war als ein staubiges, windiges Kaff am Rand eines Viehhofs, in dem das einzige Ereignis, das in die Geschichte einging, eine öffentliche Hinrichtung war.
    Aber ich glaube, dass sie all das in einem war, der wahre Westen, wie man ihn in keiner Touristenbroschüre findet, reizlos für diejenigen, die nur den Abklatsch kennen – alteHäuser, die vor Hitze und Baufälligkeit knarren und darauf warten, dass eines Tages jene Kinder eines Johann Calvin eintreffen, die Wälder abholzen und Flüsse mit Zyanid verseuchen, als wäre es ein Weiheakt, und genau die Orte wieder herstellen, von denen sie gerade geflüchtet sind.
    »Warum bist du so still?«, fragte Lucas.
    »Bin ich das?«, sagte ich.
    »Wir haben uns grade überlegt, ob wir dir den Puls messen sollen«, sagte Temple.
    »Es war ein heißer Tag«, sagte ich
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