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Die Glasblaeserin von Murano

Die Glasblaeserin von Murano

Titel: Die Glasblaeserin von Murano
Autoren: Marina Fiorato
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Bild er wohl stammte. War es ein Tizian oder ein Tiepolo? Ein Bellini? Und wenn Bellini, dann welcher? Sie ließ ihre Blicke von seinem Profil zu den unvorstellbar schönen palazzi am Canal Grande wandern und war plötzlich Feuer und Flamme für diese Kultur, in der die Häuser und die Menschen jahrhundertelang ihre ursprüngliche Eigenart bewahrt hatten und immer noch so aussahen wie zur Zeit der Renaissance. Die Begeisterung für diese Beständigkeit erfüllte sie noch, als Bruno ihre Blicke schließlich bemerkte und sie zu einem Drink einlud. Sie erfüllte sie noch immer, als er sie mit in seine kleine Wohnung in Dorsoduro nahm und mit ihr ins Bett ging. Selbst als sie merkte, dass sie schwanger war, verließ die Begeisterung sie nicht.
    Sie heirateten in aller Eile und beschlossen, das Baby nach Brunos Eltern zu nennen: Corrado, wenn es ein Junge, und Leonora, wenn es ein Mädchen wurde. Während sie miteinander im Bett lagen und die Lichtreflexe des Kanalwassers ein fließendes Muster an die Zimmerdecke malten, erzählte Bruno Elinor von seinem Vorfahren, dem berühmten Glasbläser-maestro Corrado   Manin, bekannt als Corradino. Corradino sei der beste Glasbläser der Welt gewesen, berichtete Bruno und schenkte Elinor ein kostbar gefasstes Glasherz, das der Maestro mit eigener Hand geschaffen hatte. Es war alles unglaublich romantisch. Sie waren glücklich. Elinor fing das Sonnenlicht mit dem rubinroten Glasherz ein, bis es aufblitzte, während Bruno, eine Hand auf ihrem Bauch, neben ihr lag. Hier, in ihrem Inneren, dachte Elinor, ruhte das venezianische Erbe - diese jahrhundertealte Beständigkeit -, das nun durch ihr Kind weiterleben würde. Doch jäh wurde das Paar aus dem romantischen Zauber herausgerissen, als sich Familie und Freunde in ihre Zweisamkeit drängten. Elinors Eltern empfanden keineswegs den gleichen Respekt für Brunos Tätigkeit, den die Venezianer für die Arbeit ihrer Bootsleute hegten. Und ebenso wenig konnten sie sich damit abfinden, dass er sich weigerte, Venedig zu verlassen und nach London zu gehen.
    Das war auch für Elinor ein Schock. Sie war wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass er seine Tätigkeit aufgeben und mitkommen würde. Immerhin war ihre Forschungsarbeit an der Universität wichtiger und auch um einiges einträglicher. Unversehens zerbrach ihr Traum, und sie fand sich in London wieder, eine alleinstehende Mutter mit einem Säugling und dem Versprechen Brunos, ihr zu schreiben und sie zu besuchen.
    Ihre ersten Monate verbrachte die kleine Leonora bei ihren Großeltern oder in der Kinderkrippe der Universität. Als kein Brief von Bruno kam, war Elinor zwar verletzt, aber nicht wirklich überrascht. Ihr Stolz hielt sie davon ab, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Sie rächte sich an ihm, indem sie den Namen ihrer Tochter zu Nora anglisierte. Außerdem begann sie sich für feministische Ideen zu erwärmen und verbrachte viel Zeit in Gruppen   für alleinerziehende Mütter, wo sie über die Männer im Allgemeinen und Bruno im Besonderen herzog. An Noras erstem Weihnachtsfest erhielt Elinor eine Karte von einem italienischen Freund, der an der Ca' Foscari lehrte. Dottore Padovani hatte in derselben Abteilung wie sie gearbeitet, ein intelligenter Mann mittleren Alters, der einen bissigen Humor besaß und häufig zynische Bemerkungen fallen ließ. Aus seinen Weihnachtsgrüßen sprach dagegen viel Mitgefühl. Elinor, die sich darüber wunderte, rief ihn am Ende der Weihnachtsferien an. Bei dieser Gelegenheit erfuhr sie, dass Bruno kurz nach ihrer Abreise an einem Herzinfarkt gestorben war. Padovani hatte angenommen, dass sie das wusste.
    Bruno war bei seiner Arbeit gestorben. Das Bild ihrer ersten Begegnung trat Elinor vor Augen, in ihrer Vorstellung griff er sich jetzt jedoch krampfhaft an die Brust und stürzte kopfüber in den Kanal. Sie bedauerte seinen Tod, doch das Feuer war erloschen, Elinors Liebesaffäre mit Venedig war endgültig zu Ende. Desillusioniert setzte sie ihr Studium fort, ihren Schwerpunkt verlagerte sie auf Florenz. Bei den Botticellis und Giottos konnte sie wenigstens sicher sein, nicht immer wieder auf Brunos Gesicht zu stoßen.
    Nora wuchs unter Frauen auf. Ihre Mutter und Großmutter, die Frauen aus Elinors Diskussionsgruppen, das war ihre Familie. Sie lehrten Nora, ihren Verstand und ihre Kreativität zu entwickeln. Sie warnten sie vor der Schlechtigkeit der Männer. Und sie waren es, die Nora auf eine Mädchenschule nach Islington schickten, wo
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