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Die Glasblaeserin von Murano

Die Glasblaeserin von Murano

Titel: Die Glasblaeserin von Murano
Autoren: Marina Fiorato
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Augen, und als sie wieder hinschauten, war sie fort. Während sich Nora der dritten IVF-Behandlung, einer Reagenzglasbefruchtung, unterzog, wurde ihnen beiden plötzlich klar, dass von ihrer Liebe nicht mehr genug übrig geblieben war, um darauf eine Famüie aufzubauen.
    Bereits damals ließ eine wohlmeinende Freundin hin und wieder Bemerkungen fallen, Stephen sei in einer Bar in Hampstead mit einer Frau zusammen gewesen. Jane machte diese Mitteilungen ganz beiläufig, ohne jeden Vorwurf, so als wolle sie sagen: «Ich erzähle dir das bloß, falls du es noch nicht wissen solltest. Vielleicht ist ja alles ganz harmlos. Du kannst meine Bemerkungen auch einfach ignorieren. Noch ist ja nichts verloren. Sei nur auf der Hut.»
    Doch Nora war so zermürbt von den vergeblichen Versuchen, schwanger zu werden, von dem Druck, der auf ihr lastete, dass sie Stephen umgehend zur Rede stellte. Sie erwartete, dass er alles leugnete - oder alles zugab und sie um Verzeihung bat. Doch nichts dergleichen geschah. Es war ein schrecklicher Schlag für sie, als Stephen ihr gestand, die andere zu lieben, und ihr aus Ehrgefühl anbot auszuziehen. Sechs Monate nach seinem Auszug ließ er sie wissen, dass Carol schwanger sei. Das war der Zeitpunkt, als sich Nora dazu entschloss, ihrem Leben eine neue Wendung zu geben und nach Venedig zu gehen.
    Ich erfülle das Klischee und nicht Stephen. Er hat eine junge blonde Frau für eine ältere brünette verlassen. Eine Künstlerin in Jeans für eine Erbsenzählerin im Kostüm. Ich dagegen gerate umgehend in eine Midlife-Crisis und entschließe mich aus einer Laune heraus, in die Stadt meiner Vorfahren zu ziehen, um dort ein neues Leben zu beginnen - wie in einem schlechten Film.
    Sie wandte sich vom Spiegel ab, betrachtete ihr Gepäck und seufzte.
    Aber ich kann unmöglich hier bleiben, wo ich jeden Tag Stephen oder ihr oder dem Kind über den Weg laufen könnte.
    Obwohl Nora sorgsam darauf achtete, sich nicht in der Nähe des Krankenhauses aufzuhalten, war es bereits zu solchen Begegnungen gekommen. Beim Joggen hatte   sie die beiden einmal ausgerechnet in dem riesigen Park von Hampstead Heath getroffen. Zuerst wollte sie einfach weiterlaufen und hätte es auch getan, wenn sie sich wegen Stephens nobler Geste, ihr das Haus zu überlassen, nicht zu einer gewissen Höflichkeit ihm gegenüber verpflichtet gefühlt hätte. Stephen und Carol gingen Hand in Hand, trugen die gleiche Freizeitkleidung und wirkten glücklich und erholt. Carols Schwangerschaft war deutlich sichtbar. Nora stand schweißüberströmt da und fühlte sich gedemütigt. Sie zwang sich zu einigen höflichen Bemerkungen über das Wetter und den Kaufvertrag für das Haus, dann lief sie weiter. Auf dem gesamten Heimweg weinte sie so heftig, dass ihr die Tränen über das Gesicht strömten.
    Stephen hatte sich mehr als großzügig gezeigt - er hatte ihr das Haus praktisch geschenkt und sich auch sonst immer fair verhalten.
    Er ist kein Bösewicht aus dem Schmierentheater. Er hat mich nicht betrogen, er hat sich einfach verliebt. Ich kann ihn nicht schlecht machen, geschweige denn hassen. Leider.
    Jetzt, da sie das Haus verkauft hatte, war sie frei. Jetzt konnte sie sich in ihr Abenteuer stürzen - oder in ihren Irrtum. Sie hatte niemandem von ihren Plänen erzählt, auch nicht ihrer Mutter Elinor. Vor allem nicht ihrer Mutter. Elinor hatte nichts für Venedig übrig.
    Elinor Manin war Wissenschaftlerin und hatte sich auf die Kunst der Renaissance spezialisiert. In den siebziger Jahren hatte sie an einem Austauschprogramm für Hochschulassistenten zwischen dem King's College in London und der Universität Ca' Foscari in Venedig teilgenommen. Nachdem sie bis zu dem Zeitpunkt alle Annäherungsversuche der ernsten, belesenen Jungprofessoren aus Oxford und Cambridge zurückgewiesen   hatte, verliebte sie sich nun Hals über Kopf in Bruno Manin - aus dem einfachen Grund: Er sah aus wie einem Gemälde entstiegen.
    Elinor wohnte damals am Lido und sah ihn daher jeden Tag auf dem vaporetto der Linie 52, das sie zur Universität brachte. Er arbeitete auf dem Boot, öffnete und schloss die Tür für jeden, der ein- oder ausstieg, und machte es an jeder fermata fest. Bruno befestigte und löste die schweren Taue mit seinen starken Händen und sprang mit katzenhafter Geschmeidigkeit vom Boot ans Ufer und wieder zurück. Elinor betrachtete eingehend sein Gesicht - die Adlernase, den gestutzten Bart, das lockige Haar - und überlegte, aus welchem
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