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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]
Autoren: Lion Feucht Wanger
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Anna hält ihn nicht für abgetan, sie sagt ja zu ihm. Er brummt, falsch und beflissen, die schwierige Melodie von heute morgen vor sich hin. Betrachtet, halb mit Bewußtsein, halb mechanisch, das Bild Immanuel Oppermanns. Ist innig vergnügt.
    Martin Oppermann mittlerweile fuhr ins Geschäft. Gustavs Haus lag an der Max-Reger-Straße, an der Grenze von Grunewald und Dahlem. Das Stammhaus der Oppermanns liegt an der Gertraudtenstraße im Zentrum der Innenstadt. Chauffeur Franzke wird mindestens fünfundzwanzig Minuten brauchen. Wenn es gut geht, ist Martin um elf Uhr zehn im Büro; wenn er Pech mit den Ampeln hat, erst nach elf ein Viertel. Er hat Heinrich Wels auf elf Uhr bestellt. Martin Oppermann liebt es nicht, warten zu lassen. Und daß Heinrich Wels warten muß, ist ihm doppelt unangenehm. Die Unterredung wird ohnehin nicht erfreulich werden.
    Martin Oppermann sitzt steif im Wagen, unangelehnt, in einer nicht eben schönen und natürlichen Haltung. Die Oppermanns sind schwer von Figur, Edgar, der Arzt, weniger, auch Gustav hat durch Training ein bißchen von dieser Schwere weggebracht. Martin hat keine Zeit für so was. Er ist Geschäftsmann, Familienvater, hat Verpflichtungen aller Art. Er sitzt aufrecht, den großen Kopf vorgestoßen, die Augen geschlossen.
    Nein, die Unterredung mit Heinrich Wels wird nicht erfreulich werden. Es ist selten jetzt, daß man im Geschäft Erfreuliches erlebt. Er hätte Wels nicht warten lassen sollen. Er hätte das Bild Gustav am Abend übergeben können, bei dem Essen; es war nicht unbedingt notwendig, daß er es ihm morgensgebracht hat. Er liebt Gustav, doch mit Neid. Gustav hat es leicht, zu leicht. Auch Edgar, der Arzt, hat es leicht. Er, Martin, hat allein die Nachfolge Immanuel Oppermanns übernehmen müssen. Es ist in diesen Zeiten der Krise und des ansteigenden Antisemitismus verdammt schwer, diese Nachfolge würdig zu repräsentieren. Martin Oppermann nahm den steifen Hut ab, strich sich durch das schüttere, schwarze Haar, seufzte leicht. Er hätte Heinrich Wels nicht warten lassen sollen.
    Man war an dem menschenwimmelnden Dönhoffplatz. Gleich wird man, endlich, angelangt sein. Da war schon das Haus. Eingepreßt zwischen andern stand es, eng, altmodisch, aber fest, vor langer Zeit auf lange Zeit gebaut, Vertrauen weckend. Der Wagen passierte die vier großen Schaufenster, hielt am Hauptportal. Martin wäre gern schnell herausgesprungen, aber er bezwang sich, er hielt auf Würde. Der alte Türsteher Leschinsky nahm Haltung an, bevor er die Drehtür in Bewegung setzte. Martin Oppermann rührte mit einem Finger den Hut wie jeden Tag. August Leschinsky war nun schon seit Immanuel Oppermann im Geschäft, er wußte Bescheid um jede Kleinigkeit. Er wußte bestimmt, daß Martin seinem Bruder Gustav zum fünfzigsten Geburtstag gratuliert hatte. Ob der Alte die Verspätung aus solchem Grunde billigte? Leschinskys Gesicht mit dem grauen, starren Schnurrbart war immer mürrisch, die Haltung des Mannes immer hölzern. Heute war er besonders stramm und steif: er billigte das Verhalten seines Chefs.
    Martin war mit seinem Verhalten weniger einverstanden als sein Portier. Er fuhr hinauf in den dritten Stock, zu seinem Kontor. Benützte den rückwärtigen Eingang. Er wollte nicht sehen, wie Heinrich Wels saß und wartete.
    An der Wand über seinem Schreibtisch hing, wie in allen Oppermann-Geschäften, das Porträt des alten Oppermann. Es gab ihm einen kleinen Stich, daß es nun nicht mehr das Original war, sondern eine Kopie. Natürlich war es im Grunde gleichgültig, ob das Original hier hing oder bei Gustav.Gustav hatte sicherlich mehr Verständnis dafür, er hatte ja mehr Zeit, es hing besser bei ihm, und im Grunde hatte Gustav wohl auch den besseren Anspruch. Dennoch war es unbehaglich, daß er von nun an nicht mehr das Original vor Augen haben sollte.
    Die Sekretärin kam. Post, die die Prokuristen ihm schickten. Unterschriften. Bitten um Telefonanrufe. Ja, und dann, Herr Wels wartete. Er ist auf elf Uhr bestellt. »Ist Herr Wels schon lange da?« – »Eine kleine halbe Stunde.« – »Bitten Sie ihn herein.«
    Martin Oppermann saß immer in Haltung da, er brauchte sich nicht zurechtzusetzen, aber er war heute nicht gut in Form für diese Unterredung. Er hatte sich den Bescheid, den er Wels geben wollte, sorgfältig zurechtgelegt, hatte alles mit seinen Prokuristen Brieger und Hintze durchgesprochen. Aber es galt, Wels nicht zu verstimmen, es kam auf Nuancen an, es war ein
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