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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]
Autoren: Lion Feucht Wanger
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sie? Das da ist Geburtstagspost, Gratulationen, was sonst? Dennoch hat er die leise Hoffnung, es könnte da, aus diesen vierzig oder fünfzig Briefen, vielleicht etwas Erregendes in sein Leben hineinkommen. Er läßt die Briefe zunächst uneröffnet, teilt sie auf nach den Absendern, den angegebenen und den vermuteten. Da, er verspürt eine kleine, jähe Erregung, ist der Brief von Anna, der Brief, den er erwartet hat. Er hält ihn eine ganz kurze Zeit in der Hand. Ein kleines, nervöses Augenzwinkern. Dann geht ein jungenhaftes Strahlen über sein Gesicht, er legt den Brief abseits, ziemlich weit weg, will sich, ein Kind, das die begehrteste Speise für zuletzt aufbewahrt, diesen Brief aufsparen. Er beginnt die anderen Briefe zu lesen. Glückwünsche. Sie gehen einem angenehm ein, aber sensationell sind sie nicht gerade. Er holt sich den Brief Annas wieder heran, wiegt ihn in der Hand, greift nach dem Brieföffner.Zögert. Ist schließlich froh, daß er durch einen Gast gestört wird.
    Der Gast ist sein Bruder Martin. Martin Oppermann kommt auf ihn zu, ein wenig schwer von Schritt wie immer. Gustav liebt seinen Bruder und gönnt ihm alles Gute. Aber, das muß er doch im stillen feststellen, Martin, der zwei Jahre jüngere, sieht älter aus als er. Die Geschwister Oppermann sehen sich ähnlich, alle Welt sagt es, sicher ist es so. Martin hat den gleichen großen Kopf wie er, auch seine Augen liegen ziemlich tief in den Höhlen. Aber Martins Augen wirken etwas trüb, sonderbar schläfrig; alles an ihm ist schwerer, fleischiger.
    Martin streckt ihm beide Hände hin. »Was soll man sagen? Ich kann dir nur wünschen, daß alles bleibt, wie es ist. Ich wünsche dir’s herzlich.« Die Oppermanns haben brummige Stimmen, sie zeigen, mit Ausnahme Gustavs, ihr Gefühl nicht gern, an Martin ist alles gehalten, würdig. Aber Gustav spürt gut die Herzlichkeit.
    Martin Oppermann hat sein Geschenk mitgebracht. Der Diener Schlüter bringt es herein. Aus einem großen Paket schält sich ein Bild heraus, ein Porträt. Es ist ein Brustbild, oval. Über einem flachen Kragen, wie man ihn in den neunziger Jahren trug, sitzt auf einem ziemlich kurzen Hals ein großer Kopf. Der Kopf ist fleischig und hat über tiefliegenden, ein wenig schläfrigen Augen, den Augen der Oppermanns, eine schwere, vorgewölbte Stirn. Der Kopf wirkt schlau, nachdenklich, behaglich. Es ist der Kopf Immanuel Oppermanns, des Großvaters, Gründers des Möbelhauses Oppermann. So sah er aus, als er sechzig Jahre alt wurde, kurz nach der Geburt Gustavs.
    Martin hat das Bild auf den großen Arbeitstisch gehoben und hält es da in seinen fleischigen, gepflegten Händen. Gustav, aus braunen, nachdenklichen Augen, schaut in die braunen, schlauen Augen seines Großvaters Immanuel. Nein, sehr bedeutend ist das Bild nicht. Es ist altmodisch, ohne viel Kunstwert. Dennoch hängen die vier Geschwister Oppermannan dem Bild, es ist ihnen seit früher Jugend lieb und vertraut, wahrscheinlich sehen sie mehr hinein, als darin ist. Gustav liebt die hellen Wände seines Hauses leer, es hängt im ganzen Haus ein einziges Bild, im Bibliothekzimmer; aber es war von je ein Lieblingswunsch von ihm, dieses Porträt des Großvaters Immanuel für sein Arbeitszimmer zu haben. Martin andernteils fand, es gehöre ins Chefkontor des Möbelhauses. Gustav, so gut er sich sonst mit Martin vertrug, hatte es ihm übelgenommen, daß er ihm das Bild verweigerte.
    Jetzt also, voll Freude und Genugtuung, sah er auf das Bild. Er wußte, es hat Martin Opfer gekostet, sich davon zu trennen. Vielwortig, strahlend äußerte er seine Freude, seinen Dank.
    Martin gegangen, rief er den Diener Schlüter und wies ihn an, das Bild aufzuhängen. Die Stelle dafür war längst vorbestimmt. Jetzt also, sogleich, wird es wirklich da hängen. Gustav wartete gierig darauf, daß Schlüter mit seiner Arbeit fertig sei. Endlich war es soweit. Arbeitszimmer, Bibliothek und das dritte Zimmer des Erdgeschosses, das Frühstückszimmer, gingen organisch ineinander über. Langsam, bedacht ließ Gustav seine Augen wandern von dem Porträt Immanuel Oppermanns, des Großvaters, seiner Vergangenheit, zu dem andern, bisher einzigen, Bild des Hauses, dem in der Bibliothek, dem Porträt Sybil Rauchs, seiner Freundin, seiner Gegenwart.
    Nein, ein bedeutendes Werk war das Bild Immanuel Oppermanns wirklich nicht. Der Maler Alexander Joels, der es im Auftrag der Freunde Immanuel Oppermanns seinerzeit gemalt hatte, war damals grotesk
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