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Die geraubte Braut

Die geraubte Braut

Titel: Die geraubte Braut
Autoren: Jane Feather
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seine Augen, die nun nicht mehr die unschuldigen offenen Augen eines Achtjährigen waren, trat eine Ahnung von Verlust und von dem schrecklichen Wissen um seine Pflicht. Dann drehte er sich um und folgte seiner Mutter in die Dunkelheit.
    Der Bote folgte ihnen, und der Türstein glitt auf gut geölten Angeln leise hinter ihnen zu.
    William verließ den Raum. Er schritt über die breite Treppe hinunter, in die Halle mit den Steinfliesen und hinaus in die Dämmerung. Auf der obersten Stufe vor dem Portal hielt er inne, um seine Ankläger zu mustern und in die Augen des Mannes zu blicken, den er einst Freund nannte, des Mannes, der nun gekommen war, um ihn seines Hauses, seiner Ländereien und seiner Familienehre zu berauben.
    Einen Moment sahen die zwei Männer einander an, und das Schweigen zwischen ihnen war gespannt wie eine Bogensehne. Dann sprach William Decatur, und seine Stimme war leise, doch wurde jedes verbitterte Wort mit der Gewalt einer Bleikugel geäußert. »So also ehrst du das Freundschaftsgelöbnis, Granville.«
    George, Marquis of Granville, ritt vor die angetretene Reiterei. Eine Hand wie zum Protest hebend, antwortete er: »William, ich komme nicht in Feindschaft, sondern in …«
    »Granville, beleidige mich nicht!« Williams zornige Worte schnitten dem anderen den Satz ab. »Ich durchschaue dich und werde es dir heimzahlen, dir und deinen Erben. Das schwöre ich bei Christi Blut.« Als er seine Hand hob, sah man den matt schimmernden Silberlauf seiner Pistole …
    Kreischend zogen Krähen über den Giebeln ihre Kreise, als der laute Knall sich in betäubender Stille verlor. William Decatur, Earl of Rothbury, lag am Fuße der Treppe zu seinem Haus; unter seinem Kopf breitete sich eine Blutlache aus. Seine blicklosen Augen starrten zu den kreisenden Vögeln empor, zu den treibenden Wolken, zum ersten schwachen Funkeln des Abendsterns.
    Ein Soldat trat mit einer Pechfackel vor, deren Flamme unter einem Windstoß blau und orange aufloderte. Mit einem Schritt über den am Boden Liegenden schleuderte er die Fackel in ein offenes Fenster.
    George Granville verharrte reglos auf seinem Pferd. Er war gekommen, um das Urteil des Königs zu vollstrecken. Er war aber auch gekommen, um das Urteil zu mildern und mit Einverständnis und unter Mithilfe seines alten Freundes das Schlimmste abzuwenden. Seine Absichten waren nun verweht wie Spreu im Wind.
    Der Earl of Rothbury lag tot vor den Stufen seines brennenden Hauses, und sein Erbe, ein Knabe von acht Sommern, war hinaus gestoßen in die Welt jenseits aller Gesetze, befrachtet mit einem Racheschwur, der viel zu schwer auf den jungen Schultern lastete. George Granville wusste freilich, dass der Knabe ihm sehr bald gewachsen sein würde. Rufus Decatur war nicht umsonst der Sohn seines Vaters.

Kapitel 1
    Edinburgh, Schottland, Dezember 1643
    Beißende Rauchschwaden eines glosenden Torffeuers durchzogen den fensterlosen Raum. Das alte Weib, das in einem Topf über dem Feuer rührte, hustete unausgesetzt. Ihr harter, krampfartiger Husten war das einzige Geräusch. Draußen lag hoch der Schnee auf einer toten, weißen Welt, in der dicke Flocken stetig von einem eisengrauen Himmel fielen.
    Unter einer mottenzerfressenen Decke lag zusammengekauert ein stöhnendes Lumpenbündel. Als es sich rührte, raschelte Stroh unter der abgezehrten Gestalt. »Brandy, Weib!«
    Die Alte warf dem Haufen in der Ecke einen Blick zu und spuckte ins Feuer. Der Speichel traf zischend auf dem Torf auf. »Das Mädchen holt den Fusel. Gott allein mag wissen, womit sie bezahlt.«
    Wieder stöhnte das Bündel. Ein knochiger Arm schob matt die Decke zurück. Jack Worth kämpfte sich auf den Ellbogen hoch und spähte durch halbgeschlossene Lider in den verqualmten Raum. Nichts hatte sich gebessert seit dem letzten Blick. Als er sich zurücksinken ließ, spürte sein ausgemergelter Leib Härte und Kälte des Lehmbodens unter dem dünnen und modrig riechenden Stroh umso schmerzhafter.
    Jack sehnte den Tod herbei, doch erwies sich sein Lebenslicht als hartnäckig. Und wenn er schon nicht sterben konnte, verlangte er Brandy. Portia war gegangen, um Brandy zu holen. Soviel hatte sein geschwächtes Gehirn noch mitbekommen. Aber wo zum Teufel steckte sie? Er konnte sich nicht erinnern, wann sie sich hinaus ins Schneetreiben gewagt hatte. Der Schneesturm verwischte alle Merkmale der Zeit. Es konnte ebenso gut Mitternacht wie Morgengrauen sein.
    Seine schmerzgeplagten Glieder glühten, seine Augen
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