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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
Autoren: Care Santos
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würde nichts mehr sein wie früher.
    Ihr ganzes restliches Leben hob Concha diesen Zeitungsausschnitt in einer Blechdose auf, die auf ihrem Nachttisch stand und mit Darstellungen von spielenden Kindern verziert war. Früher hatte sie der Aufbewahrung von Keksen gedient, und so umfing jahrelang ein angenehmer Zimtduft die Wehmut dieser Erinnerungen.
    Unter den Zeitungsausschnitten bewahrte sie einen alten Katalog des Warenhauses El Siglo aus der Wintersaison 1889–1890. Er enthielt Zeichnungen von Produkten aller Art, von Möbeln bis zu Kurzwaren. Mit Hilfe der Beschreibungen – »Leinentücher, beste Qualität, mit handgenähtem Hohlsaum, sowohl für Einzelbetten als auch für Ehebetten geeignet« – hatte sie als Zwanzigjährige lesen gelernt, dank des unermüdlichen Einsatzes der Señora, die ein so guter Mensch war. Wenn sie sich an Doña Maria del Roser erinnerte, sagte sie oft: »Ich habe ihren Tod gespürt, als wäre sie eine zweite Mutter.«
    Concha Martínez Cruces hatte im März 1889 begonnen, im Hause Lax zu arbeiten, durch die Vermittlung einer älteren Cousine, die im Hause Bassegoda als Kammerfrau diente.
    »Die Lax suchen eine Amme und ich kann dich weiterempfehlen«, hatte die Cousine versprochen. »Dann hätte dein Unglück wenigstens etwas Gutes gehabt.«
    Während des Vorstellungsgesprächs am nächsten Tag brachte Concha kaum ein Wort hervor.
    »Benimm dich bloß nicht wie ein Bauerntrampel«, hatte ihr die Cousine zuvor eingeschärft. »Schlag die Augen nieder, gib keine hässlichen Geräusche von dir und sprich nur, wenn du gefragt wirst. Und deine Antworten beendest du immer mit ›Señora‹ oder ›Señor‹. Hast du das verstanden?«
    Damals lebte die Familie Lax noch nicht in dem prächtigen Haus im Pasaje Domingo. Sie wohnte in der Altstadt, in einer engen, herrschaftlichen Straße, der Calle Mercaders, die später die neuen städteplanerischen Vorhaben aus dem Stadtplan ausradierten. Dieses Haus war nicht besonders groß, doch für jemanden von niedriger sozialer Herkunft immer noch überwältigend. Señora Maria del Roser empfing die beiden im Klavierzimmer. Sie selbst saß in einem Lehnsessel mit bordeauxrotem Samtpolster. Ihre Miene strahlte Gutmütigkeit aus, ihre Gestik war vornehm, ohne jemals manieriert zu wirken. Sie verströmte eine natürliche Distinguiertheit, die Concha sehr eigentümlich vorkam. Diese Frau stellte keinen Schmuck zur Schau und prunkte nicht mit Reichtum. Ihre Kleidung zeugte von einer schlichten Eleganz, die sich im Großen und Ganzen im Rahmen der Mode hielt. Ihr Haar trug sie im Nacken zu einem Knoten zusammengefasst, und ihr Umgangston war auffallend freundlich, fast schon vertraut. Doch dies schmälerte keineswegs ihre Würde, die zu ihr gehörte wie ein Charakterzug.
    »Sollen wir dich lieber mit Concha oder mit Conchita anreden?«, war ihre erste Frage.
    »Das ist mir egal.«
    Die Cousine verpasste Concha einen ersten Stoß mit dem Ellenbogen.
    »Sie können sie so nennen, wie es Ihnen am besten gefällt, Señora«, ergänzte die Cousine für sie.
    »Dann sage ich Conchita zu dir. Vorausgesetzt, dass es dir recht ist, natürlich.«
    Die Betroffene schüttelte den Kopf.
    Der nächste Ellenbogenstoß.
    »Es ist ihr recht, Señora. Wie es Ihnen am besten passt«, antwortete die Cousine eilig.
    »Wie alt bist du, Conchita?«
    »Neunzehn, Señora.«
    Concha hatte das Gefühl, als wollte ihre Stimme an diesem Ort nicht richtig klingen, als würden die mit Büchern vollgestellten Wände sie völlig verschlucken.
    »Sie wird nächsten Monat zwanzig, Señora«, verkündete die Cousine.
    »Woher kommst du?«
    »Aus Estopiñán. In der Provinz Huesca.«
    »Lebst du schon lange hier?«
    »Genau dreiundzwanzig Tage, Señora.«
    »Und, gefällt dir Barcelona?«
    Concha wusste darauf keine Antwort, aber schweigen wollte sie auch nicht.
    »Es ist so groß«, sagte sie da. Die Señora lächelte. Der wutentbrannte Blick der Cousine veranlasste Concha, mehr zu sagen. »Ich habe kaum Zeit gehabt, etwas zu sehen, Señora.«
    »Denkst du, du hast gute Milch, Conchita?«
    »Ja, Señora.«
    »Ist das Kind, das du stillst, dein eigenes?«
    Concha spürte, wie ein Knoten ihre Kehle zuschnürte. Wenn sie jetzt zu weinen anfing, dachte sie, würde ihre Cousine sehr verärgert sein, also versuchte sie sich zu beherrschen.
    »Ich stille kein Kind, Señora.«
    Maria del Roser Golorons sah sie erstaunt an. Diesmal war Concha erfreut, dass ihr die Cousine zu Hilfe kam.
    »Conchitas
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