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Die Geisel

Die Geisel

Titel: Die Geisel
Autoren: G. M. Ford
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verteilt war, bis das Herumziehen von einer Gewohnheit zum Lebensstil und anständige Arbeit von einer Selbstverständlichkeit zum allerletzten Ausweg wurde.
    Manche blieben auf dem langen Weg irgendwo hängen, entschieden sich für ein Leben als Kentucky-Hinterwäldler oder schlugen sich als Bergleute in West Virginia oder als Kleinbauern in Texas oder Oklahoma durch. Ihre inzestuösen Nachkommen leben immer noch dort, lümmeln immer noch auf Veranden herum, fristen auf magerem Land ihr Dasein am Rande der Gesellschaft, immer noch fremdenfeindlich und zu unvorhersehbaren Gewaltausbrüchen neigend.
    Kehoes Großvater Jimmy hatte sich bis ins sonnige Kalifornien durchgeschlagen, bevor das Blut die Oberhand gewann und ihn auf eine selbstmörderische Fahrt auf der neuen Indian Superchief trieb, die er sich von seiner Scheidungsabfindung gekauft hatte. Bewaffnet und betrunken, schaute er sich noch immer unter dem Arm hindurch nach dem Wagen der Highway Patrol um, als das Motorrad mit über hundertfünfzig Sachen in die Leitplanke raste. Seine schwangere Lebensgefährtin identifizierte ihn anhand der Initialen auf der Innenseite seiner Stiefel.
    Kehoe war der Einzige, der außerhalb des Hochsicherheitsflügels allein eine Zweimannzelle bewohnte. Man hatte ihm nicht nachweisen können, dass er den Skinhead getötet hatte, und deshalb auch sein Urteil nicht offiziell revidieren und ihn in den verschärften Strafvollzug stecken können. Als die Bullen die Menge mit Gewalt auseinandergetrieben hatten, waren die violetten Eingeweide des kleinen Typen mit den eintätowierten roten SS-Zeichen auf beiden Handrücken bereits auf dem Boden verteilt; auf seinem verkniffenen Gesicht lag ein verblüffter Ausdruck, als hätte es ihn beeindruckt, wie sein Gedärm ihm durch die Finger geglitten war und sich wie glänzende, zuckende Meerestiere auf den rauen Steinboden ergossen hatte.
    Die Aufzeichnungen der Überwachungskameras ergaben keine schlüssigen Beweise, also bekam Kehoe neunzig Tage in seiner eigenen kleinen Zelle in Trakt A, so weit wie möglich von seinen Bikerkumpeln entfernt. In Trakt A waren die Kranken und Kaputten untergebracht, die gewohnheitsmäßigen Kinderschänder und diejenigen, die so durchgeknallt waren, dass man sie nicht einmal in einem Hochsicherheitsgefängnis frei herumlaufen lassen konnte. Man hatte gehofft, ein paar Monate bei den Verlierern und Verlorenen würden Kehoe ein wenig Bescheidenheit lehren. Nach einer Woche blieben sogar die größten Schwachköpfe auf der anderen Seite des Hofes. Nach zwei Wochen hatte Kehoe den Hof für sich allein.
    Kehoe war der Erste, den Driver befreit hatte. Er stolzierte aus seiner Zelle, als ginge er zu einer Samstagabend-Schlägerei: schweigend, auf den Ballen wippend drehte er den Kopf hin und her und überprüfte den leeren Laufgang zu beiden Seiten.
    »Kehoe«, klang eine Stimme aus den Lautsprechern. Seine Augen fanden die Geräuschquelle und die kleine schwarze Kamera. »Yeah … Wer quasselt 'n da?«
    »Driver.«
    Kehoe starrte finster vor sich hin und dachte nach: »Bist du's wirklich, Captainman?«
    »So sicher, wie Kurtz sich im Inneren seines Schädels Cartoons anguckt.«
    Kehoe grinste. »Das wird denen aber bestimmt nicht gefallen, dass du die Sprechanlage gekapert hast. Die stecken dich dafür bestimmt in den Hochsicherheitsflügel.«
    »So bald nicht«, kam die Antwort.
    »Wo steckst du, Captainman?«
    »Im Kontrollzentrum.«
    Kehoe blieb stehen, sah abermals zu der Kamera hoch. »Du verarschst mich.«
    »Warum kommst du nicht rüber und leistest mir Gesellschaft?«, fragte Driver.
    Bevor Kehoe antworten konnte, glitt das Sicherheitstor am anderen Ende des Laufgangs langsam zur Seite. Kehoe wich einen Schritt zurück. Wieder ertönte die Stimme:
    »In Arizona gibt's keine Todesstrafe, Cutter. Was sollen die machen? Dir noch mal lebenslänglich aufbrummen?«
    Kehoe grinste wieder und zeigte auf die Kamera. Seine Bewegungen waren von einer Geschmeidigkeit, die seine langen, drahtigen Arme und seine riesigen Hände nicht vermuten ließen. »Da is' was dran, Doc. Außer neunzig Tage hintereinander in Isolation … Viel mehr haben die Blauen für Lebenslängliche ohne Bewährung wie uns nich' auf Lager, was?«
    »Genau.«
    »Was hast'n du vor, Captainman?«
    »Ich hab vor, ordentlich einzuheizen, Cutter. Die Hölle auf Rädern.«
    Die Auskunft schien Kehoe zufriedenzustellen. Er hakte die Daumen in die Hosentaschen und machte sich auf den Weg zu den Aufzügen
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