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Die geheimnisvollen Pergamente

Die geheimnisvollen Pergamente

Titel: Die geheimnisvollen Pergamente
Autoren: Hanns Kneifel
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vermochten ihn aufzumuntern.
    Er hatte erfahren, dass sein Vater gestorben war. Von seiner Schwester Leila fehlte jede Spur. Henri erinnerte sich an sein Erlebnis mit »Umars kleiner Taube«, die dem Karawanserei-Besitzer al-Kadir versprochen gewesen war. Niemand hatte Uthmans Fragen nach ihrem Verbleib beantworten können. Das Landgut war verwaist. Eulen und Mäuse hausten unter den Dächern. Auch Al-Kadir, Leilas Gatte, war verschwunden, ohne dass jemand wusste, wohin. »Es ist undurchsichtig«, sagte Uthman leise.
    Henri trauerte mit Uthman, denn auch in seiner Erinnerung nahm Uthmans Vater einen wichtigen Platz ein. Damals, scheinbar in einer anderen Welt, vor drei Jahrzehnten, beim verzweifelten Kampf um Akkon, hatte Henri dem Assassinen das Leben gerettet und von ihm als Dank jenes Medaillon erhalten, das er häufig an der silbernen Kette um den Hals trug; einen Talisman mit den eingravierten Worten Baphomet und Alhamdulillah und verschiedenen Zeichen und Zierlinien. Dieser Talisman hatte ihm mehrere Male das Leben gerettet.
    »Dein Vater ist bei Allah«, hatte Henri schließlich gesagt. »Inshallah. Aber was wirst du unternehmen, um deine Schwester Leila zu finden?«
    »Allah ist groß«, hatte Uthman traurig geantwortet. »Ich habe gebetet und hundert Leute gefragt. Wenn sie jemals zum Landgut zurückkehrt, wird sie bald wissen, wo ich zu finden bin.«
    »Nun gehört also das Haus, in dem ich heute zu Gast bin, dir?«
    »Der Vater vererbt es an den Sohn«, hatte Uthman leise, mit schmerzlichem Lächeln, geantwortet. »Dass du von ganzem Herzen willkommen bist, daran hast du hoffentlich keinen Zweifel.«
    »Nein, Uthman. Und du weißt, wie groß mein Dank ist.«
    Uthman hatte nur genickt.
    »Wir sind Freunde«, hatte er ruhig geantwortet.
    Henri schloss die Augen. Es lag in Gottes unerforschlichem Ratschluss, was die nächsten Wochen und Monate bringen würden. Er vergaß seine Verzweiflung und seine Erschöpfung und ließ sich von der Ruhe zwischen den dicken Mauern umschmeicheln. Jetzt war er in Sicherheit und brauchte seine Waffen nicht zu schärfen. Wie lange noch?

4
    Im Gebirge, auf der Straße zwischen Sichern und Jerusalem
     
    Sean kämpfte mit letzter Kraft im Dunkeln gegen die Überzahl an Gegnern. Zweimal war der Gedanke durch seinen Kopf geschossen, dass sie ihn nicht töten und ausrauben, sondern wohl lebend als Geisel haben wollten. Trotzdem hielt er sich noch immer im Sattel und hieb wild um sich, obwohl er kaum etwas erkannte.
    Der Ort des Kampfes hatte sich dem Verlauf der Straße folgend verlagert. Aus den Augenwinkeln sah Sean, dass aus dem schmalen Spalt einer finsteren Felsspalte einige Männer mit geschwungenen Fackeln herausgerannt kamen und auf ihn und die Räuber zuliefen. Die funkensprühenden Flammen beleuchteten vage den Kampfplatz. Trotz der rasenden Schmerzen hielt Sean den Morgenstern wieder mit der rechten Hand. Er hatte eine Vielzahl harter, schmerzhafter Hiebe einstecken müssen, und sein Rappe war erschöpfter als Sean selbst.
    Hinter ihm schrie einer der Räuber.
    Als er zuschlagen wollte, um wieder einen Mann zu treffen, der ihn aus dem Sattel reißen wollte, traf ihn ein kurzer, harter Schlag im Nacken. Vor seinen Augen verwandelte sich die Umgebung in wirbelnde Schwärze, und er merkte nur noch, dass er im Sattel auf den Hals des Pferdes zusammensackte. Dann verlor er das Bewusstsein.
    Er spürte nicht, wie er langsam links vom Pferderücken rutschte und schwer im Sand und Geröll aufschlug, ohne den Morgenstern loszulassen.
    Eine Ewigkeit verging, ehe er die Augen öffnete. Die Lider schienen geschwollen zu sein; er sah alle Dinge undeutlich, verschwommen oder gedoppelt nebeneinander. Seine Lippen und sein Gaumen waren trockener als der Sand, auf dem er lag. Als er vorsichtig versuchte, sich zu bewegen, merkte er, dass seine Hand-und Fußgelenke gefesselt waren. Erst allmählich konnte er die Umgebung deutlicher wahrnehmen: Felsen, Sand, einen Rauchfaden aus einem ausgeglühten Feuer, Gestalten, die sich bewegten, Schatten und Licht – also hatte er die Nacht überlebt, und der nächste Tag war angebrochen.
    Sean schloss die Augen. Um ihn herum war es kühl, er lag im Schatten. Wahrscheinlich hatten sie ihn abseits der Straße in einem Felsenkessel versteckt, dem Lager der Straßenräuber. Vorsichtig, so weit es die Lederschnüre der Fesseln erlaubten, tastete er sich ab. Jeder Muskel, jede Handbreit Haut schmerzten. Er war nicht nackt. Er trug offensichtlich noch
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