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Die Geheimnisse der Therapeuten

Die Geheimnisse der Therapeuten

Titel: Die Geheimnisse der Therapeuten
Autoren: Christophe André
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eine Vereisung mit flüssigem Stickstoff.
    Ungefähr zwei Wochen später saß ich Luc wieder gegenüber. Ich war auf die Biopsie vorbereitet, aber nicht auf das, was folgen sollte. Luc machte einen Schnitt, nahm ein Stückchen Haut ab, tat es in ein Röhrchen, das er versiegelte, und füllte ein Formular für das Analyselabor aus. Kurz bevor er mit dem Schreiben fertig war, hob er den Blick und sagte: »Wir wollen schließlich sichergehen, dass es kein Spinaliom ist.«
    Ich wandte bei mir dasselbe Vorgehen an, das ich auch bei meinen Patienten anwende.
    Zunächst war ich einfach nur verblüfft, und erst als ich nach Hause kam, merkte ich, dass ich Angst hatte: Ich war bedrückt, mein Herz schlug deutlich schneller, und ein kalter Schauder lief mir über den Rücken. Daraufhin wandte ich bei mir dasselbe Vorgehen an, das ich auch bei meinen Patienten anwende.
    Zunächst: die Emotion akzeptieren
    Ich beobachtete meine körperlichen Reaktionen, ohne zu versuchen, sie zum Verschwinden zu bringen. Ich sagte mir, dass sich diese Reaktionen wie alle Angstkrisen von selber legen würden. Und als sie tatsächlich anfingen nachzulassen, machte ich einige Entspannungsübungen. Dann beschloss ich, meine Gedanken zu untersuchen, und in diesem Punkt haben mir meine Patienten am meisten geholfen. Natürlich drehte sich der unangenehmste Gedanke um die Befürchtung, dass ich ein Spinaliom haben und richtig krank werden könnte. Der Gedanke an den Tod tauchte im Hintergrund auf, aber ich war erstaunt, dass er nicht stärker hervortrat. Ich nehme an, dass bestimmte Gespräche mit meinen Patienten, die tatsächlich an Krebs erkrankt waren, dafür sorgten, dass der Gedanke sich in Grenzen hielt. Ich erinnere mich vor allem an eine meiner Patientinnen, die zu mir sagte: »Wissen Sie, ich glaube, dass wir aus der Sicht des Individuums unsterblich sind. Ich meine das in dem Sinne, dass ich mich niemals als tot erleben werde. Ich werde mich definitiv immer als lebendig erleben. Wenn ich tot bin, werde ich es nicht wissen.« Das ist ein Gedanke, der mich oft begleitet und den ich manchmal zur Sprache bringe, wenn sich die Unterhaltung um den Tod dreht. Er hilft mir, das Gespräch wieder auf die Möglichkeiten zu bringen, die wir ungenutzt verstreichen lassen und die die Realität unserer Existenz bilden. Das ist ein Thema, das uns im Folgenden bei der Geschichte von Claude-Jean wiederbegegnen wird.
    Â»Wovor habe ich Angst?«
    Nach der üblichen Frage: »Wovor habe ich Angst?« (Antwort: vor dem Leiden und dem Krebs) bittet der kognitive Therapeut seine Patienten zu erörtern, was für und was gegen die Angst spricht. Die Spalte mit den objektiven Argumenten, die für die Krankheit sprachen, war bei mir ziemlich leer. Es gab nichts weiter als die Schulhypothese von Luc. Die Spalte »dagegen« war ziemlich voll: Die verdächtige Stelle ähnelte nicht wirklich einem Spinaliom, ich fühlte mich gesund, ich hatte schon vergleichbare Stellen gehabt, die sich als gutartig erwiesen hatten. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Stelle als Krebs entpuppen würde, war also gering, aber nicht gleich null. Ich führte deshalb den Gedankengang zu Ende. Falls es sich doch um ein Spinaliom handeln sollte, wäre das schlimm? Die Argumente, die den Ernst der Lage relativierten, überwogen: Der Krebs war behandelbar, besonders wenn man ihn früh diagnostizierte (was ja der Fall sein würde). Das Übrige lag in der Hand des Schicksals.
    Ich kam also zu der Schlussfolgerung, dass, selbst wenn die Lage ernst sein sollte, und danach sah es nicht aus, der Ernst dennoch relativ wäre. Es ging jetzt darum, ein zu dieser Geistesverfassung passendes Verhalten zu finden. Eines Tages kam Georges zu mir in die Sprechstunde, einer meiner hypochondrischen Patienten, mit dem ich oft Gespräche über Themen dieser Art geführt hatte, und sagte: »Die kognitive Umstrukturierung ist eine gute Sache, aber letztlich überzeugt sie mich nicht. lch beispielsweise habe so etwas wie die Überzeugung, dass ich eines Tages schwer krank werde. Das Einzige, was hilft, ist, denselben Gedankengang zu wiederholen, sooft der Angstgedanke Sie anspringt, ohne zu versuchen, mehr zu tun. Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf, um Gegenargumente zu finden. Nach einer gewissen Zeit streckt mein Unbewusstes, wie ich glaube, die Waffen und lässt mich in Ruhe.« Ich beschloss,
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