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Die Gärten des Mondes

Die Gärten des Mondes

Titel: Die Gärten des Mondes
Autoren: Steven Erikson
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Handschuh krachte gegen Riggas Kopf, und die Wucht des Schlages riss sie herum. Sie stürzte.
    Das Fischermädchen schrie auf, als Rigga hart auf ihren Oberschenkeln landete. Blut und Speichel spritzten ihr ins Gesicht. Wimmernd wich das Mädchen über das Geröll zurück, schob die alte Frau dann mit den Füßen von sich. Sie kniete sich hin.
    Irgendetwas von Riggas Prophezeiung schien sich im Kopf des Mädchens festgesetzt zu haben, schwer wie ein Stein und im Dunkel verborgen. Sie stellte fest, dass sie kein einziges Wort von dem, was die Seherin gesagt hatte, wiederholen konnte. Sie streckte sich und griff nach Riggas Wollschal. Vorsichtig drehte sie die alte Frau auf den Rücken. Eine Seite von Riggas Kopf war blutverschmiert; die rote Flüssigkeit rann jetzt hinter ihrem Ohr hinunter. Auch ihr faltiges Kinn war voller Blut, genau wie ihr Mund. Ihre Augen starrten blicklos ins Leere.
    Das Fischermädchen wich zurück; sie bekam keine Luft mehr. Verzweifelt blickte sie sich um. Die Kolonne war vorbeigezogen, hatte nichts als Staub und leiser werdendes Hufgetrappel zurückgelassen. Riggas Sack war auf die Straße gerollt. Zwischen den zertrampelten Rüben lagen fünf Talgkerzen. Das Mädchen atmete tief die staubige Luft ein. Dann wischte sie sich die Nase ab und sah dabei hinunter auf ihren Korb.
    »Vergiss die Kerzen«, murmelte sie mit schwerer, eigenartiger Stimme. »Sie sind sowieso hin. Verstreut wie die Knochen. Was soll's.« Sie kroch auf die Garnknäuel zu, die aus dem zerbrochenen Korb gefallen waren, und als sie dann wieder sprach, klang ihre Stimme jung und normal. »Wir brauchen das Garn. Wir werden die ganze Nacht arbeiten und ein Netz knüpfen. Papa wartet auf mich. Er steht schon an der Tür und schaut, ob er mich sehen kann.«
    Sie verstummte. Ein Schaudern durchlief ihren Körper. Das Sonnenlicht war fast völlig verschwunden. Eine für diese Jahreszeit ungewöhnliche Kälte entströmte den Schatten, die jetzt wie Wasser über die Straße flossen.
    »Jetzt ist es also so weit«, sagte das Mädchen leise und krächzend mit einer Stimme, die nicht ihre eigene war.
    Eine weich behandschuhte Hand legte sich auf ihre Schulter. Sie duckte sich, kauerte sich hin.
    »Ruhig, Mädchen«, sagte die Stimme eines Mannes. »Es ist vorbei. Für sie kann man nichts mehr tun.«
    Das Fischermädchen blickte auf. Ein Mann ganz in Schwarz beugte sich über sie; sein Gesicht lag im Schatten seiner Kapuze. »Aber er hat sie geschlagen«, sagte das Mädchen mit dünner Kinderstimme. »Und wir müssen Netze knüpfen, Papa und ich ...«
    »Komm, ich helfe dir hoch«, sagte der Mann und schob seine langfingrigen Hände unter ihre Arme. Er richtete sich auf und hob sie ohne jede Anstrengung hoch. Ihre Füße in den alten Sandalen baumelten einen Augenblick in der Luft, bevor er sie absetzte.
    Nun erblickte sie einen zweiten Mann. Er war kleiner und ebenfalls ganz in Schwarz gekleidet. Dieser Mann stand auf der Straße, und seine Aufmerksamkeit galt anderen Dingen; er blickte in die Richtung, in die die Soldaten verschwunden waren. Als er sprach, klang seine Stimme dünn. »Kein besonders tolles Leben«, sagte er, ohne herüberzublicken. »Sie hatte nur eine geringe Begabung, noch dazu eine, die schon lange vertrocknet war ... Oh, eine mehr hätte sie womöglich noch geschafft, aber das werden wir niemals erfahren ...«
    Das Fischermädchen stolperte zu Riggas Sack hinüber und hob eine Kerze auf. Sie reckte sich, und ihre Augen wirkten plötzlich hart. Dann spuckte sie nachdenklich auf die Straße.
    Der Kopf des kleineren Mannes fuhr zu ihr herum. Es sah aus, als würden sich unter seiner Kapuze nichts als Schatten verbergen.
    Das Mädchen wich einen Schritt zurück. »Es ist ein gutes Leben gewesen«, flüsterte sie. »Sie hatte diese Kerzen, wisst Ihr. Fünf Stück. Fünf Kerzen für ...«
    »Nekromantie«, warf der kleinere Mann ein.
    Der größere Mann, der noch immer neben ihr stand, sagte sanft: »Ich sehe sie, Kind. Und ich weiß, was sie bedeuten.«
    Der andere Mann schnaubte. »Die Hexe hat fünf zerbrechliche, schwache Seelen beherbergt. Nichts Bemerkenswertes.« Er legte den Kopf ein wenig schief. »Ich kann sie hören. Sie rufen nach ihr.«
    Dem Mädchen traten die Tränen in die Augen. Eine wortlose Qual schien von dem schwarzen Stein in ihrem Geist aufzusteigen.
    Sie wischte sich die Wangen ab. »Wo kommt Ihr her?«, fragte sie unvermittelt. »Wir haben Euch auf der Straße gar nicht gesehen.«
    Der Mann
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