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Die Früchte der Unsterblichkeit

Die Früchte der Unsterblichkeit

Titel: Die Früchte der Unsterblichkeit
Autoren: Ilona Andrews
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die Böschung hoch geschafft hatte. Ich hatte die Schnauze im Visier, die Nase würde wohl die meisten Schmerzen verursachen.
    »Lauf, verdammt noch mal!«, brüllte Raphael von unten herauf.
    »Kein Grund, so zu schreien.« Ich war aufgepeitscht, der Nervenkitzel eines Jägers, der seine Beute erblickte. Die dunkle Schnauze schob sich in Schussweite.
    Ruhig. Ziele. Atme. Lass dir Zeit.
    Den riesigen Schlünden entfuhr ein dreistimmiges Knurren.
    Behutsam drückte ich ab.
    Das Donnern der Weatherby zerriss die Luft. Der Rückstoß schlug gegen meine Schulter.
    Durch den mittleren Kopf des Hundes ging ein Zucken. Im Gewehrmagazin steckten zwei Kugeln, eine dritte in der Kammer. Ich legte an und feuerte erneut. Der Kopf in der Mitte hing schlaff herunter. Winselnd wand sich das Wesen vor Schmerzen. Sehr gut. Die Weatherby hatte sich mal wieder durchgesetzt.
    Mit einem verzweifelten Satz hechtete Raphael die Böschung hinauf und mir entgegen. Ich erwischte ihn am Arm und zog ihn hoch. Wir spurteten zum Wagen. Ich sprang hinters Steuer, er auf den Beifahrersitz, und ich trat das Gaspedal durch.
    Wütendes Geheul ließ die Straße erbeben. Im Rückspiegel sah ich, wie sich das Vieh mit einem gewaltigen Satz aus der Schlucht emporschwang und hinter uns auf der Straße landete.
    »Schneller!«, fauchte Raphael.
    Ich drückte aufs Gaspedal und verlangte der alten Karre das Letzte ab. Wir hatten einen Affenzahn drauf. Mit triumphierendem Geheul, das einem durch Mark und Bein ging und das Pflaster unter den Autoreifen in Vibrationen versetzte, folgte uns das Biest. Drei Sätze und es hatte uns eingeholt, hing mit offenem Maul über dem Jeep. Eine Welle von fauligem, ätzendem Atem traf mich. Raphael sprang auf und knurrte mit gesträubtem Nackenfell. Brennender Sabber troff auf den Rücksitz und versengte die Polster. Der beißende Geruch geschmolzenen Plastiks breitete sich aus.
    Ich riss das Steuer herum, bog scharf links auf eine der hölzernen Brücken ab, wobei der Jeep fast die Böschung hinunterrutschte. Riesige Zähne schnappten nach der Rückbank – und verfehlten sie nur knapp.
    Der Hund knurrte. Im Spiegel konnte ich sehen, wie er die Muskeln spannte und zu einem Sprung ansetzte. Vor mir erstreckte sich der Buzzard Highway schnurstracks geradeaus, rechts und links begrenzt von tiefen Schluchten. Nichts, wo ich hätte ausweichen können.
Das war’s. Wir können einpacken.
    In mir regte sich das Tier, wollte herausgelassen werden. Ich biss die Zähne zusammen und blieb Mensch.
    Die Töle sprang. Ihr riesiger Körper segelte auf uns zu, doch mit einem Mal wurde sie zurückgerissen, als wäre das Ende einer unsichtbaren Leine erreicht. Im Fall ruderte das Vieh unbeholfen mit den Pfoten. Als ich das nächste Mal in den Rückspiegel sah, hatte es sich auf die Hinterbeine gestellt und bellte markerschütternd. Es bellte, winselte und verschwand schließlich mit einem Satz wieder in der Schlucht.
    Ich nahm den Fuß ein wenig vom Gas, damit wir in der nächsten Kurve nicht einen Flammentod am Boden der Schlucht starben. »Du! Was war denn das bitte?«
    Neben mir im Sitz lief ein Beben durch Raphael. Fell verwandelte sich in weiche, menschliche Haut, die sich straff über einen zum Dahinschmelzen schönen Körper spannte. Kohlrabenschwarzes Haar fiel ihm bis auf die Schultern. Mit strahlend blauen Augen sah er mich an, lächelte und verlor das Bewusstsein.
    »Raphael?«
    Ausgeknockt. Während einer Technikphase kostete eine Verwandlung extrem viel Kraft. Zudem hatte er noch eine anstrengende Hetzjagd hinter sich. Da sorgte das Lyc-V, das Virus, dem die Gestaltwandler ihre Existenz verdankten, dafür, dass er sich ein wenig ausruhte.
    Ich grummelte vor mich hin. Hätte er sich nicht zurück in einen Menschen verwandelt, wäre er bei Bewusstsein geblieben. Raphael wusste ganz genau, dass er nach der Verwandlung ohnmächtig und splitterfasernackt neben mir auf dem Sitz liegen würde und ich ihn die ganze Zeit anstarren müsste. Das hatte er mit Absicht getan. Der Casanova der Werhyänen hatte mal wieder zugeschlagen. Ich war sein unsinniges Werben um mich langsam leid.
    Zehn Minuten später fuhr ich auf eine verlassene Shell-Tankstelle und hielt neben den überdachten Pumpen.
    Ich zog mein Gewehr fest an mich und lauschte. Kein wütendes Zähnefletschen. Kein Knurren. Wir hatten es also geschafft.
    Mein Herz schlug wie wild. Ich kniff die Augen zu und in meinem Mund breitete sich ein bitterer Geschmack aus. Eine verspätete
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