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Die Friesenrose

Die Friesenrose

Titel: Die Friesenrose
Autoren: Jutta Oltmanns
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Nacht den einsamen Weg zur Kate des Austernfischers. Wie oft und wie gerne war sie ihn immer besuchen gegangen. Doch heuteschwangen Bitterkeit und Verzweiflung in ihrem Herzen mit. Sie hämmerte gegen die Tür. „Garrelt, ich bin es, Inken, mach auf!“
    Es dauerte nur eine kurze Weile, dann öffnete sich die Tür einen Spalt breit, und ein kantiges Gesicht mit einem rotblonden Vollbart kam zum Vorschein. Eine Pfeife hing im Mundwinkel des Fischers, der, als er Inken erkannte, Tür und Augen sperrangelweit aufriss.
    „Mädchen, was machst du denn mitten in der Nacht hier draußen?“
    Inken warf sich in Garrelts Arme, wo sie eine Weile ganz still verharrte.
    „Kind, was ist denn nur los?“
    Inken bemühte sich, nicht noch einmal die Fassung zu verlieren. Sie rückte von Garrelt ab und bemerkte erst jetzt, dass aus seiner Pfeife Rauch stieg. Verwundert starrte sie darauf.
    „Mir scheint, ich habe dich nicht einmal aus dem Schlaf gerissen, Garrelt. Es ist Mitternacht vorbei, und du schmauchst noch ein Pfeifchen?!“
    Etwas verlegen kratzte sich der Alte am Kopf. „Weißt du, Kind, ich erwarte eigentlich noch Besuch. Darum“ – er zupfte an seinem gestreiften Hemd, der Weste und den dunklen Hosen – „darum bin ich auch noch in den Kleidern.“ Erst jetzt schien ihm bewusst zu werden, dass Inken immer noch im Freien stand. „Willst du da draußen etwa festwachsen? Komm schnell rein.“ Er zog sie ins Haus. „Was ist denn bloß passiert, dass du mitten in der Nacht noch durch die Dünen gelaufen kommst?“
    Inken schüttelte nur den Kopf. Für einen Augenblick hatte Garrelt sie von ihren Sorgen abgelenkt, doch nun seufzte sie tief.
    „So schlimm?“ Garrelt legte den Arm um ihre Schultern und drückte sie an sich. „Du weißt doch, der alte Garrelt weiß für alles einen Rat. Und wenn er keinen weiß, weiß er zumindest jemanden, der einen weiß!“ Er strich ihr beruhigend über das Haar. „Ich mache uns jetzt erst einmal eine Tasse Tee mit Rum, und dann erzählst du mir alles.“
    Inken setzte sich auf einen der Binsenstühle. Der Raum, die vertrauten Geräusche und Garrelts Anblick beruhigten sie. Die erste Tasse Tee tranken sie schweigend, und für einen Moment stand die Zeit still, und die Vergangenheit wurde wieder lebendig. Wie Inken als kleines Mädchen zusammen mit Garrelt Möweneier aufgespürt hatte. Und am Strand Muscheln, Seesterne und manchmal sogar Bernstein. Und wie oft hatte sie mit ihm frühmorgens gemeinsam nach Strandgut gesucht. Das Strandjen war bis heute eine ihrer großen gemeinsamen Leidenschaften geblieben, und die Fischerkate barg noch immer viele ihrer über die Jahre geborgenen „Schätze“. So wie sie noch immer lange Wintertage damit verbrachten, sich auszumalen, welche Wege diese Funde hinter sich gebracht hatten, bevor sie an den Strand getrieben worden waren. Im Sommer fuhr Inken manchmal mit Garrelt hinaus aufs Meer, um mit den Scharnetzen die Austernbänke zu befischen. Und immer hatten die Streifzüge über die Insel oder der Austernfang mit einer Tasse Tee in dieser alten Kate inmitten der Dünen geendet. Garrelt war stets da gewesen, wenn sie ihn gebraucht hatte, und er würde ihr auch jetzt helfen.
    Mit einem klappernden Geräusch stellte Inken ihre Tasse ab und durchbrach damit die Stille. „Vater ist verhaftet worden und auf dem Weg nach Frankreich. Unser Haus werden sich die Franzosen einverleiben, und ich muss von der Insel fliehen.“ Mit wenigen Worten schilderte sie dem alten Fischerihre Lage. Als die Rede auf den Holländer kam, wurde Inkens Stimme brüchig.
    Garrelt war sichtlich betroffen. „Das sind schlechte Nachrichten“, sagte er leise, schlug dann aber mit der Faust auf den Tisch. „Diese verdammten Franzosen. Das Meer soll sie allesamt holen.“ Er blickte zu Boden. „Du weißt genau, dass dein Vater noch lebt?“
    „Auf das Wort dieses Holländers konnte man sich verlassen.“ Inken nickte traurig und goss den Tee in die tiefe Unterschale, um das Abkühlen des Getränkes zu beschleunigen.
    „Dann ist es gut.“ Garrelts Stimme klang erleichtert. Er maß sie mit einem eindringlichen Blick. „Inken, um deinen Vater mache ich mir die wenigsten Sorgen. Er ist ein alter Haudegen. Wer Wale besiegt, für den sind Napoleons Soldaten nur kleine Fische. Hinderk hat schon viele Stürme gemeistert; er wird auch die französische Gefangenschaft überstehen. Mehr Sorgen mache ich mir um dich, mein Kind. Wohin willst du nun gehen? Auf der Insel zu bleiben
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