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Die Frau mit dem roten Tuch

Die Frau mit dem roten Tuch

Titel: Die Frau mit dem roten Tuch
Autoren: Jostein Garder
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jemand zwölfmal hintereinander dieselbe Zahl gewürfelt hat. Das liegt einfach daran, dass auf unserem Planeten mehrere Milliarden Menschen leben und dass fast überall gewürfelt wird. Wir sprechen in einem solchen fiktiven Einzelfall von einer oddsbomb , und viele würden wohl in hysterisches Lachen ausbrechen, wenn sie so etwas erleben, denn wir haben es hier mit astronomischen Dimensionen zu tun: Statistisch gesehen müsste man viele Tausend Jahre lang würfeln, um eine reelle Chance für eine Serie von zwölf gleichen Würfen zu haben. Trotzdem kann es ganz spontan geschehen, also im Laufe weniger Sekunden. – Ist das nicht ein schöner Gedanke?
     
    Es war jedenfalls eine Bombe, dich dort zu treffen. Es hat mich erschüttert, und ich würde nicht zögern, es als einen wirklichen Glückstreffer zu bezeichnen. Nur »übernatürlich« war es nicht.
     
    Und davon bist du wirklich überzeugt?
     
    Beinahe, ja. Und ich bin mir auch sicher, dass es kein Schicksal, keine Lenkung und keine mentale Kraft gibt, die das Ergebnis zum Beispiel eines Würfelspiels beeinflussen kann. Es kann gepfuscht und getrickst werden, das schon, man kann sich außerdem falsch an etwas erinnern und falsch davon berichten, aber physische Ereignisse lassen sich nun mal nicht vom Schicksal beeinflussen, auch nicht von der göttlichen Vorsehung oder dem Pseudophänomen, das manche als »Psychokinese« bezeichnen.
    Oder hast du je von jemandem gehört, der beim Roulette steinreich geworden wäre, weil er oder sie bestimmen oder vorhersagen konnte, wo genau auf der Roulettescheibe die Kugel zur Ruhe kommt? Man brauchte nur die Fähigkeit, ein paar Sekunden voraussehen zu können, um sich ein Millionenvermögen zu sichern. Aber niemand besitzt solche Fähigkeiten. Niemand! Deshalb hängt an den Kasinos auch kein Schild mit der Aufschrift, dass für Hellseher und Gedankenleser der Zutritt verboten ist. Solche Verbote sind schlicht und ergreifend nicht notwendig.
     
    Was Glücksspiele und unser Leben ganz allgemein angeht, müssen wir außerdem einen anderen Umstand mit berücksichtigen. Den allerverblüffendsten Zufällen der Welt wohnt nämlich die Tendenz inne, von der Kultur, in der sie geschehen, sorgfältig erinnert und bewahrt zu werden. Ein ganzer Strauß von Anekdoten über aufsehenerregende Geschehnisse ist so über die Zeiten hinweg entstanden und kann von einem ungeübten Auge leicht als Beweis dafür genommen werden, dass es überall auf der Welt »Kräfte« gibt, die in unser Leben eingreifen.
    Diesen Mechanismus gilt es zu verstehen. Die Entscheidung darüber, welches »Gewinnerlos« im Gedächtnis bewahrt und an die Nachfolgenden weiterberichtet wird, erinnert an Darwins natürliche Auslese. Der Unterschied ist nur, dass man in unserem Fall von einer künstlichen Auslese sprechen müsste. Auf diese Weise werden leider viele seltsame Vorstellungen in die Welt gesetzt.
    Es kann uns, bewusst oder unbewusst, sehr rasch passieren, dass wir Dinge miteinander in Verbindung bringen, die nichts miteinander zu tun haben. Ich glaube, das ist sogar typisch für uns Menschen. Anders als Tiere suchen wir gern nach versteckten Ursachen, eben dem Schicksal, der Vorsehung oder einem anderen lenkenden Prinzip, auch dort, wo nichts dergleichen zu finden ist.
    Richtig, ich halte es für einen kompletten Zufall, dass wir uns an einem bestimmten Sommertag an einem bestimmten Ort begegnet sind. Die Chance dafür, dass es geschehen könnte, war minimal – wir waren beide seit damals nicht mehr dort gewesen – , aber auch wenn die Chance nur mikroskopisch klein war, ist das noch kein Beweis dafür, dass es sich um etwas anderes gehandelt hat als um einen gigantischen Zufall.
     
    Nimm einmal an, wir würden in einem dicken Buch die überzeugendsten Beispiele für bedeutungsvolle Zusammentreffen in der Geschichte der Menschheit sammeln, die Gewinnerlose also. Und jetzt stell dir vor, wie viel Platz wir brauchen würden, wenn wir dasselbe für die Nieten machen wollten. Es wären Tausende Milliarden Bände. Für so viele Bücher gäbe es nicht genug Wälder. Unser Planet wäre zu klein für so viele Bücher, und er ist zu klein für so viele Bäume.
    Um ausnahmsweise und nur ein einziges Mal von Nieten zu sprechen: Kannst du dich erinnern, jemals ein längeres Interview mit jemandem gelesen zu haben, der oder die nicht im Lotto gewonnen hat?
     
    Du hast dich nicht sehr verändert. Was ja auch nicht schlecht ist, Steinn. Deine Hartnäckigkeit hat
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