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Die Frau mit dem Muttermal - Roman

Die Frau mit dem Muttermal - Roman

Titel: Die Frau mit dem Muttermal - Roman
Autoren: H kan Nesser
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Rand eines Scheißhaufens geboren wurde, dann muss man sich damit abfinden, ab und zu hineinzutreten. Das war nur normal. Hauptsache, man kam irgendwie aus dem Dreck heraus.
    Und das geschah nie. Dass man es schaffte. Man blieb in der Scheiße liegen, und alles andere war nur noch eine Frage der Zeit.
    Aber das war jetzt Schnee von gestern. Zertreten, grau und geschmolzen. Der Oktober hatte einiges verändert. Der Tod ihrer Mutter gab den Rest.
    Genauergenommen der Bericht ihrer Mutter. Ganz plötzlich war vieles einfacher geworden. Deutlich und klar zum ersten Mal in ihrem trüben Leben. Sie fühlte sich stärker und nahm weniger Drogen. Keinen harten Stoff mehr. Ein bisschen Hasch hier und da, sonst nichts. Und sie machte Schluss mit diesen verfluchten, trostlosen Beziehungen zu all den anderen Scheißhausbewohnern. Es war einfacher gewesen, sie loszuwerden, als sie geahnt hatte, genauso einfach wie mit den Drogen, und natürlich hatte das eine das andere beeinflusst. Vielleicht stimmte es ja doch, was all die Quacksalber und Fürsorger die ganzen Jahre über predigten: Es kommt auf die eigene Stärke an. Auf sie und sonst auf nichts.
    Mut und Entschlossenheit also.
    Und der Auftrag, fügte sie hinzu.
    Der Auftrag? Anfangs war sie sich nicht darüber im Klaren gewesen, erst nach und nach wurde es ihr bewusst. Welche Motive eine Rolle gespielt hatten oder wer gar den Anstoß dazu gegeben hatte, ließ sich hinterher nur schwerlich sagen. War es der Beschluss ihrer Mutter oder ihr eigener? Nicht, dass das eine größere Bedeutung hatte, aber auf jeden Fall konnte es interessant sein, darüber nachzudenken.
    Über den Ursprung, die Verantwortung und so. Über Rache und die Wichtigkeit, Dinge zurechtzurücken. Dass ihre Mutter
10 000 Gulden versteckt hatte, war natürlich gleichzeitig eine Überraschung und eine große Hilfe. Das war eine stattliche Summe, die zweifellos gelegen kam.
    Am 12. Januar hatte sie 2000 ausgegeben, aber das war kein herausgeworfenes Geld. In ihrer Nachttischschublade lag eine Liste mit Namen, Adressen und einigen anderen Angaben. Sie hatte eine Waffe, und sie hatte ein möbliertes Zimmer, das in Maardam auf sie wartete. Was konnte man sich mehr wünschen?
    Den Mut nicht zu verlieren? Die Entschlossenheit? Ein bisschen Glück?
    Am Abend, bevor sie abfuhr, betete sie zu einem ziemlich unspezifizierten Gott, dass er ihr doch beistehen möge und ihr Erfolg gönnen solle, und als sie die Nachttischlampe löschte, hatte sie das deutliche Gefühl, dass es in dieser Welt eigentlich nicht mehr viel gab, was ihr Knüppel zwischen die Beine werfen konnte.
    Wahrscheinlich gar nichts. Sie schlief in dieser Nacht in einer warmen, lächelnden Fötushaltung in der sicheren Überzeugung, dass sie sich in ihrem ganzen Leben noch nie so unverwundbar gefühlt hatte.
    3
    Die Wohnungsfrage gehörte zu den Dingen, mit denen sie sich nicht länger herumquälte. Sie hatte einfach auf eine der Anzeigen im Neuwe Blatt geantwortet – doch als sie das Ergebnis sah, wurde ihr klar, dass sie es kaum besser hätte treffen können.
    Frau Klausner war schon früh Witwe geworden und hatte die alte, reizvolle Zweiparteienvilla im Deijkstraaviertel nach dem Tod ihres Mannes umbauen lassen. Sie blieb mit zwei Katzen und viertausend Büchern im Erdgeschoss wohnen. Der erste Stock, die alten Kinderzimmer und das Gästezimmer,
wurden vermietet. Insgesamt vier Zimmer, jedes mit Waschbecken und Kochgelegenheit. Sowie gemeinsame Dusch- und Waschräume auf dem Flur. Die Treppe nach oben bekam einen separaten Eingang, der in sicherem Abstand von Frau Klausners eigenem Schlafzimmer hinter einem Giebel verlief. Und obwohl ihr anfangs natürlich nicht ganz wohl bei der ganzen Sache war, konnte sie sich bald zu dem ausgezeichneten Arrangement beglückwünschen. Sie vermietete nur an alleinstehende Damen und nie länger als ein halbes Jahr. Meistens Studentinnen, die sich aufs Examen der juristischen oder medizinischen Fakultät vorbereiteten und Ruhe und Abgeschiedenheit brauchten. Oder Krankenschwestern, die für ein paar Monate an irgendeiner Fortbildung am Gemejnte teilnahmen. Im Sommer standen oft ein oder mehrere Zimmer leer, doch die Einkünfte, die sie im Winterhalbjahr hatte, reichten aus. Major Klausner hätte gegen diese Neuerungen nichts einzuwenden gehabt, das wusste sie, und während sie bei der Sparkasse in der Schlange stand, um die Mieten auf ihr Konto einzuzahlen, hatte sie das Gefühl, als könnte sie ihn dort oben auf
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