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Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau, die vom Himmel fiel: Roman (German Edition)
Autoren: Simon Mawer
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ihr Vater Bankiertyp nannte. Nur dass Bankiers stets Schnurrbärte hatten und dunkle Anzüge trugen. Dieser Mann war dagegen glatt rasiert und trug ein Tweedsakko mit Weste. Ein Schuldirektor, entschied sie. Ein Schuldirektor, der eine aufsässige Schülerin in sein Büro zitiert hat, die Art von Direktor, der lieber Fragen stellt als Standpauken hält. Die Art, die es dir selbst überlässt, dich in Widersprüche zu verwickeln. Die sokratische Methode.
    »Also, ich nehme an, Sie fragen sich, warum ich Sie eingeladen habe?«
    In seinem Brief hatte er sie gebeten, nicht in Uniform zu kommen. Sie hatte das seltsam gefunden, sogar ein wenig befremdlich. Wieso nicht in Uniform, wo doch die ganze verdammte Welt in Uniform steckte? Sie hatte sich daher für etwas Schlichtes und Geschäftsmäßiges entschieden – dunkelblaues Kostüm, weiße Bluse und das einzige anständige Paar Schuhe, das sie aus Genf hatte mitnehmen können. Sie hatte es in den letzten zwei Jahren möglichst wenig getragen. Es war zu kostbar. Und Seidenstrümpfe, sie trug Seidenstrümpfe. Ihr letztes Paar.
    »In Ihrem Brief erwähnen Sie Französisch. Dass Sie für meine Sprachkenntnisse Verwendung hätten.«
    »Genau. Peut-être … « Potter stockte und lächelte herablassend, »Peut-être nous devrions parler français?«
    Er hatte einen englischen Akzent, und seine Ausdrucksweise klang ein wenig hölzern, als würde er die Sprache eher bemüht sprechen, nicht natürlich. Aber er beherrschte sie ganz passabel. Sie zuckte die Achseln und tat es ihm gleich, wechselte von einer Sprache in die andere, mit jener seltsamen Leichtigkeit, die sie besaß und die ihr Vater niemals zustande brachte. »Die Sache ist die, Papa«, hatte sie einmal zu ihm gesagt, »für dich sind es zwei Sprachen. Aber für mich nicht. Für mich gibt es bloß eine Sprache. Und ich verwende immer das, was gerade am besten passt.« Und so fand das weitere Gespräch, ein sehr verhaltenes, ausweichendes Gespräch, auf Französisch statt, durchsetzt mit Potters gestelzten Förmlichkeiten und Marians übersprudelnden umgangssprachlichen Wendungen.
    »Ich muss von vornherein klarstellen«, warnte er sie, »dass es sich um eine äußerst geheime Arbeit handelt. Alles, was diese Arbeit betrifft, selbst unser heutiges Treffen, ist streng vertraulich und unterliegt dem Official Secrets Act. Dessen sind Sie sich hoffentlich bewusst, oder? Natürlich haben Sie die entsprechende Erklärung bereits im Rahmen Ihrer Tätigkeit beim Frauenhilfskorps WAAF unterzeichnet. Aber wir möchten auf Nummer sicher gehen.«
    Also unterzeichnete sie ein weiteres Mal die Geheimhaltungserklärung, eine feierliche kleine Zeremonie wie eine Eheschließung auf dem Standesamt, wozu Mr Potter ihr seinen Füllfederhalter borgte und ehrfürchtig wartete, bis die Tinte getrocknet war.
    »So, dann erzählen Sie mir doch mal ein wenig über sich, Miss Sutro. Der Name zum Beispiel. Nicht jüdisch, oder?«
    »Sutro? Ursprünglich vielleicht, ich weiß es gar nicht genau. Mein Vater ist Anglikaner, und sein Vater war sogar Pfarrer. Was gewisse Probleme zur Folge hatte, als mein Papa meine Mutter heiratete, denn die ist katholisch. So wurden wir auch erzogen, mein Bruder und ich – katholisch.«
    »Das klingt ja alles recht normal. Aber man muss sich ja vergewissern.«
    »Dass ich keine Jüdin bin? Wollen Sie keine Juden?«
    »Wir müssen sichergehen, dass Angehörige des, äh, mosaischen Glaubens sich der Risiken voll und ganz bewusst sind.«
    »Was denn für Risiken?«
    Ein leiser Anflug von Ungeduld schlich sich in seine Stimme. »Vielleicht sollte lieber ich hier die Fragen stellen, Miss Sutro. Sagen Sie, wie haben Sie Ihre Französischkenntnisse erworben?«
    Sie zuckte die Achseln. »Ich hab meine Kenntnisse nicht erworben . Ich hab einfach sprechen gelernt, wie jedes Kind. Bloß eben die französische Sprache. Meine Mutter ist Französin. Wir haben in Genf gelebt.«
    »Aber Sie sprechen auch ausgezeichnet Englisch.«
    »Das hab ich natürlich von meinem Vater. Und auch in der Schule haben wir Englisch und Französisch gesprochen. Es war eine internationale Schule. Und dann war ich drei Jahre auf einem Internat in England.«
    »Was hat Ihr Vater in Genf gemacht?«
    »Er hat beim Völkerbund gearbeitet.« Sie stockte und fragte dann mit einer gewissen Ironie: »Erinnern Sie sich noch an den Völkerbund, Mr Potter?«
    II
    Beim zweiten Treffen legte er seine Karten auf den Tisch. Das waren seine Worte. Sie trafen sich wie
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