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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin
Autoren: B.C. Schiller
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Talvin anzurufen, um festzustellen, ob er noch lebt. Gerade als ich nach meinem Privathandy greife, wird die Badezimmertür aufgerissen und Gregor steht in der Tür, hält sich oben am Türstock fest, damit seine breiten Schultern besser zur Geltung kommen. Trotz eines nicht zu übersehenden Bauchansatzes, der von den vielen abendlichen Essen mit den Parteifunktionären herrührt, sieht er noch immer sehr gut aus. Gregor ist fünfundvierzig Jahre alt und sein ursprünglich dunkles Haar wird an den Schläfen schon leicht grau, was ihm aber eine ungemein sexy Ausstrahlung verleiht. So jedenfalls war es in einer Homestory über ihn zu lesen, in der auch ich am Rande vorkam, mit meinem originellen Hobby, der Fotografie.
    Über die Fotografie haben wir uns in Wien auch kennengelernt. Das war vor über zehn Jahren. Ich sollte ihn als jüngsten Vorsitzenden seines Wahlkreises „modern“ ablichten, wie er es unbeholfen ausdrückte, und beide mussten wir über diese Formulierung lachen. „Eigentlich sollten Sie ja vor der Kamera stehen!“, sagte er dann, ohne zu überlegen, spontan wie er eben ist. „Sie sehen aus wie meine Traumfrau.“ Tja, so war das damals und wir haben schnell geheiratet und bald darauf kam Paul. Doch über Paul darf ich nicht sprechen, das hat mir mein Mann verboten.
    Außer Politik hat Gregor noch nie etwas anderes gemacht. Ich glaube, er weiß überhaupt nicht, wie normale Arbeit funktioniert. Für ihn gibt es immer nur konspirative Treffen, um zweckmäßige Seilschaften zu bilden und Verbindungen zu knüpfen. Er hat sich über die Jahre emsig ein Netzwerk aus Vertrauten aufgebaut, die er später einmal mit einflussreichen Posten belohnen wird, wenn er ganz oben ist, und wenn ihm seine exzentrische Frau Adriana keinen Strich durch die Rechnung macht.
    Aber ich reiße mich zusammen, denn jetzt ist Gregor bald an seinem Zenit angelangt. Er ist der heiße Anwärter für ein Ministeramt und der Star im derzeitigen Wahlkampf. Keine Talkshow, die ihn nicht dabeihaben möchte, kein TV-Bericht, der nicht eine Wortspende von ihm will. Dieser Wahlkampf erfordert seine ganze Kraft und kostet ihn all seine Energie. Wenn er spät nachts von einer Tour durch seinen Wahlbezirk nach Hause kommt, höre ich, wie er in der Küche eine Flasche Wein entkorkt und gierig Glas für Glas trinkt. Nach Alkohol und Zigarettenrauch stinkend fällt er dann neben mir ins Bett und schnarcht sofort weg. Da ist nicht mehr viel übrig von den heißen Nächten wie zu Beginn unserer Ehe.
    „Du bist ja schon wach, hast du gut geschlafen?“, brüllt er mit seiner Baritonstimme, die das ganze Haus erzittern lässt, genau in dem Augenblick, als ich mit Talvin telefonieren will. Doch er ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um das Telefon in meiner Hand zu bemerken. „Tut mir leid, Adriana, aber ich kann nicht mit dir frühstücken. Ich habe ein Meeting mit dem Parteivorsitzenden“, redet er einfach weiter, ohne meine Antwort abzuwarten. „Sei nicht traurig, aber wir sehen uns ja später abends, dann kannst du mir erzählen, wie dein Tag war!“
    Schon ist er verschwunden und poltert die Treppe nach unten ins Erdgeschoß. Doch so einfach lasse ich mich diesmal nicht abspeisen.
    „Ich muss mit dir reden!“, schreie ich hinunter in die Küche, wo Gregor an unserem Frühstückstresen lehnt und im Stehen eine Tasse Kaffee schlürft. Noch hat er keine Krawatte umgebunden und das Hemd steht weit offen, was ihn ungemein attraktiv macht. Aber noch attraktiver ist der durchdringende Blick seiner dunklen Augen. Das haben auch schon die Redakteurinnen von einigen Zeitschriften bemerkt, die von diesem „schmelzenden Blick“ geschwärmt haben. Doch noch ehe ich den Gedanken weiter vorantreibe, schiebt sich das Bild der Leiche wieder in mein Denken und alles in mir wird kalt und leblos.
    „Wir müssen reden! Es ist etwas passiert“, bleibe ich hartnäckig und Gregor blickt irritiert hoch. Für den Bruchteil einer Sekunde habe ich seine ungeteilte Aufmerksamkeit, denn etwas in meiner Stimme hat ihn nervös gemacht. Diesen Tonfall muss ich mir merken. Doch dann surrt sein Handy und der Augenblick verstreicht ungenutzt.
    „Ja? Was meinst du mit kritischen Meinungen? Du musst sofort gegensteuern. Ich will positive PR!“, höre ich seine aggressiven Antworten auf die Fragen des Anrufers. Als Gregor merkt, dass ich zuhöre, dreht er sich zur Seite und nickt nur noch zustimmend mit dem Kopf. „Du meldest dich, wenn alles wieder okay
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