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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.
Autoren: Mike Powelz
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wollen Sie nicht mehr im Bett liegen. In Haus Holle werden Ihnen die Ärzte mit raffinierten Medikamenten helfen. Schon nach der ersten Pille können Sie Ihr normales Leben schlagartig wieder aufnehmen.“
    „Kann ich anschließend wieder nach Hause?“
    „Das muss ich leider verneinen“, erklärte Dr. Albers. „Die Gefahr, dass Sie zuhause einen Blutsturz aus der Vagina erleiden – und schlimme Schmerzen erleben – können wir nicht ausschließen.“
    In diesem Moment verstand Minnie die Botschaft. Sie würde nie mehr heimkehren. „Aber meine Wohnung…“, flüsterte sie benommen.
    „Niemand wird Sie daran hindern, nach Hause zurückzukehren“, sagte Dr. Albers freundlich. „Aber ich empfehle Ihnen, es nicht zu tun. Momentan ist die Warteliste kurz für einen Platz in Haus Holle. Für Sie ist das ein Glück im Unglück.“
    „Welche Warteliste?“, fragte Minnie.
    Der Psychologe  antwortete mit einer Gegenfrage. „Haben Sie eine Vorstellung, wie viele Menschen jährlich in Deutschland sterben?“
    Minnie überlegte. Leider jedoch konnte sie nicht einmal einschätzen, wie groß die Bevölkerung überhaupt war.
    „Momentan leben fast 82 Millionen Menschen in unserem Land“, erklärte Dr. Albers. „Jedes Jahr sterben rund 800.000 von ihnen. Davon beendet die Hälfte ihr Leben in einer Klinik. Weitere 320.000 Menschen sterben in einem Pflegeheim oder zuhause – und nur 3,3 bis 3,5 Prozent in einem Hospiz.“
    Minnie sah ihn fragend an. „Sind es so wenige, weil sie sich vor solchen Häusern fürchten?“
    „Nein“, erklärte der Psychologe. „Aus zwei anderen Gründen. Erstens kostet ein Platz in einem Hospiz fast 7000 Euro im Monat. Das ist doppelt so viel wie die monatlichen Kosten in einem Pflegeheim. Zweitens gibt es nicht genügend Hospize. Deshalb nehmen wir nur Menschen auf, wenn gerade ein Platz frei geworden ist oder sich abzeichnet, dass bald ein Zimmer bei uns frei wird.“
    Minnie schluckte. „7000 Euro im Monat? Das kann ich mir niemals leisten. Und warum… Warum bekomme ausgerechnet ich einen Platz?“
    „Bei den Wartelisten achten wir darauf“, antwortete Dr. Albers, „dass die Gesamtsituation im Hospiz ausgewogen bleibt.  Am besten lässt sich das an einem einfachen Beispiel erklären. Wenn sich zwei Menschen mit begrenzter Lebenserwartung, die nach dem deutschen Sozialgesetz beide einen Anspruch auf einen Hospizplatz haben, bei uns bewerben, wir aber nur ein Zimmer frei haben, schauen wir, wer von ihnen das Zimmer am dringendsten braucht. Ist das bei zwei Patienten der Fall, wählen wir denjenigen aus, dem es noch besser geht – oder umgekehrt. Dadurch entsteht ein Klima aus so genannten mobilen und eher bettlägerigen Gästen. Außerdem werden Aids-Patienten schneller aufgenommen als Krebskranke und Menschen mit anderen, seltenen Leiden. Es war ja ursprüngliche Intention von Helga Holle, Aidskranken vorrangig zu helfen.“
    Fragend sah Minnie ihn an.
    „Helga Holle baute das Hospiz 1993. Damals starben noch besonders viele Menschen an Aids. Drei Jahre später wurden endlich wirksame Medikamente gegen die neue Krankheit gefunden. Diese Medikamente schenkten todkranken HIV-Patienten neue Hoffnung. Plötzlich konnten Sterbende wieder aufstehen und das Hospiz sogar verlassen. Heute haben die meisten HIV-Patienten eine normale Lebenserwartung. Deshalb nehmen wir inzwischen hauptsächlich Krebskranke auf – Menschen wie Sie.“ 
    Er legte seine Hand auf Minnies. „Nun zu den Kosten… Seit dem 23. Juli 2009 sind unheilbar Kranke bundesweit von der Eigenbeteiligung befreit. Das Hospiz finanziert sich durch Zahlungen der Kranken- und Pflegkassen sowie durch Spenden. Das Gros der Gäste lebt 20 Tage bei uns.“
    „Heißt das, ich lebe nur noch vier Wochen?“, fragte Minnie. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    „Das ist nicht auszuschließen“, entgegnete Dr. Albers aufrichtig. „Im Durchschnitt ist das so. Aber manche Gäste bleiben auch ein Jahr bei uns.“
    „Wer zahlt dann?“
    „Wir nehmen jeden Menschen auf – egal, ob er obdachlos ist oder Millionen auf dem Konto hat“, erklärte der Psychologe. „Und wir veranstalten viele karitative Aktionen, damit Geld in unsere Kasse gespült wird. Rund 30 Prozent unserer Ausgaben werden nicht von den Kranken- und den Pflegekassen übernommen.“
    „Huch“, sagte die alte Dame leise und sah Dr. Albers kläglich an. „Das sind so viele Informationen. Warum ist ein Hospizplatz so unglaublich teuer?“
    „Weil sich bis
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